Die Goldman-Sachs-Kolumne Deutschlands Teuro - ein Jobkiller?
Der Euro tut den Deutschen spürbar weh. Oberflächlich betrachtet, schmerzt der Preisanstieg, der mit der Einführung des Euro-Bargelds verbunden ist, bei vielen Gütern des täglichen Bedarfs. Da dies eine nur vorübergehende Erscheinung sein kann, rechnen die meisten Politiker und Volkswirte damit, dass die Deutschen mit dem Euro bald Frieden schließen werden. Dies könnte ein Trugschluss sein.
Die Anzeichen mehren sich, dass sich die deutsche Wirtschaft vom Rest Eurolands abkoppelt und die von der EZB verfolgte Geldpolitik für die deutschen Verhältnisse zu restriktiv ist. Die Wirtschaftspolitik muss Deutschland Euro-fähig machen, oder sie riskiert, dass der Euro im Bewusstsein der Bevölkerung als Jobkiller ein Teuro bleibt.
Träger der roten Laterne
Seit Beginn der Währungsunion hat Deutschland Mühe, beim Wachstum mit den anderen Ländern der Eurozone Schritt zu halten. Im vergangenen Jahr machte die Wachstumsrate in Deutschland mit mageren 0,6 Prozent gerade mal ein Drittel der Rate von Frankreich oder Italien aus und lag um mehr als die Hälfte unter dem Euroland Durchschnitt von 1,5 Prozent. Auch in diesem Jahr dürfte die Bundesrepublik mit nochmals 0,6 Prozent wieder nur etwa halb so schnell wachsen wie unsere beiden großen Nachbarländer oder Euroland.
Damit wird die Arbeitslosigkeit in Deutschland wohl kräftig weiter steigen, während sich in anderen Ländern bald eine Verbesserung abzeichnen wird. Die deutsche Inflation lag in der Vergangenheit nur leicht unter dem Durchschnitt Eurolands, doch für dieses Jahr zeichnet sich ein stärkerer Rückgang ab: Im Mai fiel die deutsche Inflationsrate auf nur noch 1,1 Prozent und damit deutlich unter die Eurolandrate von 2,0 Prozent.
Wie ist es dazu gekommen?
Manche Beobachter sehen die Ursache des schlechten wirtschaftlichen Abschneidens Deutschlands in unserer höheren Abhängigkeit von Exporten. Von dem US-induzierten weltwirtschaftlichen Abschwung, so das Argument, ist Deutschland in überproportionalem Maße betroffen. Die Daten sprechen jedoch gegen diese These.
Zum einen lag das deutsche Wachstum auch während des wirtschaftlichen Booms der USA unter dem Euroland-Durchschnitt. Zum anderen leisten die Exporte während der Schwächephase immer noch den größten Beitrag zum deutschen Wachstum. Dies deutet darauf hin, dass die Ursachen der deutschen Wirtschaftsschwäche im Inland liegen.
Die Berliner Versäumnisse
Die Berliner Versäumnisse
Der Grund für das enttäuschende Abschneiden ist wohl in erster Linie in den Versäumnissen der deutschen Wirtschaftspolitik und einer wachstumsfreundlichen Politik in den anderen Ländern zu suchen. Zwar hat die rot-grüne Koalition endlich überfällige Steuer- und Rentenreformen durchgeführt, doch waren die Maßnahmen nicht mutig genug und kamen recht spät.
Gravierender jedoch war, dass Reformen im Bereich der Sozialversicherung ausblieben. Gravierend ist auch die Regulierung auf dem Arbeitsmarkt, unter anderem das Recht auf Teilzeitarbeit, die Erschwerung befristeter Arbeitsverhältnisse und die Ausweitung der Mitbestimmung.
In all diesen Bereichen haben unsere Nachbarländer größere Fortschritte gemacht. Die meisten haben auch zu Beginn der Europäischen Währungsunion (EWU) von einem expansiven geldpolitischen Impuls profitiert, da angesichts eines weltweit günstigen Inflationsumfelds die Konvergenz der kurzfristigen Zinsen auf dem niedrigen deutschen Niveau stattfinden konnte. Schließlich haben viele EWU-Länder ihre Finanzpolitik nach Erfüllung der Konvergenzkriterien und damit der Beitrittsbedingungen zur EWU wieder gelockert.
Der EWU-Schuh drückt weiter
All dies mag ausreichen, um anfängliche Unterschiede in den Wachstums- und den Inflationsraten innerhalb Eurolands und um Deutschlands Zurückbleiben gegenüber den meisten anderen Ländern zu erklären. Jedoch kann damit nicht erklärt werden, warum die Abweichungen auch noch nach inzwischen mehr als drei Jahren weiter bestehen, ja sich in manchen Bereichen sogar noch ausweiten. Es scheint, dass sich neue, zentrifugale Kräfte aufbauen.
Diese Kräfte haben ihre Wurzel in der wegen struktureller Rigiditäten geringen internen Wachstumsdynamik Deutschlands. So ist es - zum Beispiel auf Grund der verkrusteten Strukturen auf dem Arbeitsmarkt - in Deutschland nicht gelungen wie in Frankreich einen circulus virtuosus zwischen Beschäftigungs- und Konsumwachstum aufzubauen. Die zentrifugalen Kräfte werden aber auch durch eine europäisch bedingte, den schwachen deutschen Verhältnissen nicht entsprechende makroökonomische Politik verstärkt.
Im Bereich der Finanzpolitik muss Deutschland trotz seines schwachen Wachstums in den nächsten Jahren einen scharf restriktiven Kurs fahren, um seine im Stabilitätspakt eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Gleichzeitig verfolgt die Europäische Zentralbank (EZB) eine am Durchschnitt Eurolands ausgerichtete Geldpolitik, die für Deutschland deutlich zu eng ist. Dies wird ersichtlich, wenn man den so genannten Taylorzins, ein weit verbreitetes Maß für angemessene Notenbankzinsen, für Euroland insgesamt und für die einzelnen Mitgliedsländer der EWU berechnet.
Warum die Politik jetzt handeln muss
Deutschland braucht mehr Spielraum
Unter den Annahmen eines nominalen neutralen Drei-Monatszinses für Euroland von 3,75 Prozent (2,25 Prozent realer Zins und 1,5 Prozent erwartete Inflation), der von der OECD für dieses Jahr geschätzten Produktionslücke von 1,4 Prozent, einem Inflationsziel von 1,5 Prozent und der im April registrierten tatsächlichen Inflationsrate von 2,4 Prozent, erhält man einen Taylorzins für Euroland von 3,5 Prozent, der mit dem gegenwärtigen Dreimonatszins übereinstimmt.
Setzt man in die Formel jedoch länderspezifische Werte für die geschätzte Produktionslücke in 2002 und die im April registrierte Inflationsrate ein, so ergibt sich am unteren Ende ein Taylorzins von 2,8 Prozent für Deutschland und am oberen Ende von 5,5 Prozent für Irland. Der Wert für Frankreich liegt bei rund vier Prozent.
Dies lässt den Schluss zu, dass die Geldpolitik gegenwärtig zu restriktiv für Deutschland und zu locker für Frankreich und die meisten anderen Länder der EWU ist. Sollte die EZB im zweiten Halbjahr die Zinsen erhöhen, ohne dass sich die deutsche Konjunktur spürbar erholt hat, würde sich die von der Geldpolitik ausgehende Spannung noch weiter verstärken.
Die Wirtschaftspolitik muss handeln
Nehmen die Spannungen zwischen konjunkturell angemessener und tatsächlicher Geld- und Finanzpolitik in Deutschland weiter zu, könnte sich der Frust über den "Teuro" verfestigen. Teuer käme der Euro dann nicht nur den Konsumenten, sondern auch den Arbeitslosen zu stehen.
Um dies zu vermeiden, muss die Wirtschaftspolitik durch strukturelle Reformen stärker als bisher Deutschlands innere Wachstumsdynamik dem Euroland Durchschnitt annähern. Ein solcher Befreiungsschlag ist nötig, um den Teufelskreis niedrigen Wachstums und restriktiver makroökonomischer Politik zu durchbrechen, und es der deutschen Wirtschaft zu erlauben, mit einem europäisch bestimmten Zinsniveau und einer vom Stabilitätspakt eingeengten Finanzpolitik zu leben.
Gleichzeitig darf sich die EZB aber auch nicht von Ländern mit robusterem Wachstum und höherer Inflation, die im Zentralbankrat die Stimmenmehrheit haben, in eine zu restriktive Geldpolitik drängen lassen.
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