Die Goldman-Sachs-Kolumne Überschwängliche Erwartungen
Die Geschäftserwartungen der Unternehmen in Euroland haben sich in den letzten Monaten deutlich verbessert. Dies hat viele Volkswirte veranlasst, einen starken Aufschwung vorherzusagen. Die aktuelle Geschäftslage der Unternehmen und die offiziellen Wirtschaftsindikatoren zeichnen jedoch das Bild eines eher verhaltenen Aufschwungs.
Es ist daher möglich, dass sich optimistische Geschäfterwartungen und wirtschaftliche Vorhersagen gegenseitig zu einer Erwartungsblase verstärkt haben. Die raue Wirklichkeit könnte diese Blase bald zum Platzen bringen.
Hohe Erwartungen, gutes Klima
Das vom Ifo-Institut ermittelte Geschäftsklima in der westdeutschen Industrie ist der von den Finanzmärkten und Konjunkturforschern in Euroland am intensivsten verfolgte Stimmungsindikator. Insbesondere die Geschäftserwartungen der Unternehmen werden als Frühindikator für die Produktion nicht nur in Deutschland sondern auch im gesamten Euroraum betrachtet.
Seit Oktober sind die in der Ifo Umfrage ermittelten Geschäftserwartungen um rund 15 Prozentpunkte gestiegen. Der gesamte Geschäftsklimaindex stieg dagegen nur um 5,8 Punkte, da der Index der gegenwärtigen Geschäftslage um 3 Prozentpunkte sank. Mit einer Differenz von 27,7 Prozentpunkten ist der Abstand zwischen den Indices der Erwartungen und der aktuellen Lage ungefähr so groß wie nach den Rezessionen von 1982/83 und 1992/93.
Implizite Wirkungen auf Produktionswachstum
Die von Ifo ermittelten Geschäftswartungen werden oft als Frühindikator für das Wachstum der deutschen Industrieproduktion gegenüber dem Vorjahr mit einem Vorlauf von zwei Monaten genommen.
Eine entsprechende ökonometrische Prognosegleichung (basierend auf der Entwicklung der Geschäftserwartungen bis einschließlich April) sagt einen Anstieg des Wachstums der deutschen Industrieproduktion von 5,1 Prozent im Februar, dem letzten verfügbaren tatsächlichen Wert, auf + 2,9 Prozent im Juni vorher. Diese Beschleunigung ist aber nur zu erreichen, wenn die Industrieproduktion in den Monaten März bis Juni mit einer durchschnittlichen annualiserten Monatsrate von 17,4 Prozent wachsen würde.
Ein solcher Spurt über vier Monate ist zwar nicht ausgeschlossen, wäre aber höchst ungewöhnlich. Außer der Verbesserung der Geschäftserwartungen gibt es gegenwärtig keine Anzeichen dafür, dass die prognostizierte, starke Entwicklung eintreten wird.
Problematische Prognosen
Das Wachstum der deutschen Industrieproduktion war seit Anfang dieses Jahres eher verhalten, die Einzelhandelsumsätze und Auftrageingänge sind sogar deutlich gefallen. Die Unternehmen selbst hatten nicht viel Erfreuliches über ihre Geschäftslage zu berichten. Auch die Konjunkturentwicklung im Rest von Euroland verlief eher gedämpft.
Das Risiko ist daher groß, dass die Erwartungen die wahrscheinliche zukünftige Entwicklung überzeichnen. Angesichts offizieller Statistiken von bescheidener Qualität, die zudem noch mit erheblicher Verzögerung veröffentlicht werden, geben viele Volkswirte den Geschäftserwartungen großes Gewicht bei ihrer Konjunkturprognose.
Vorhersagen haben großen Einfluss
Die Vorhersagen der Volkswirte beeinflussen die Finanzmärkte, deren Entwicklung wiederum in die zahlreichen konjunkturellen Frühindikatoren eingeht. Es liegt nahe, dass die Geschäftserwartungen der Unternehmen von all diesen Prognosen nicht unberührt bleiben.
Dies gilt insbesondere dann, wenn die Frage nach den Erwartungen, wie in der Ifo Umfrage, ganz allgemein gestellt wird. Gefragt wird, ob der Geschäftsverlauf in der Zukunft besser oder schlechter sein wird als gegenwärtig, oder ob keine Veränderungen zu erwarten sind.
Sich selbst erfüllende oder zerstörende Prognosen
Anders als zum Beispiel eine konkrete Frage nach der Entwicklung der Auftragseingänge lässt diese Fragestellung zu, dass die Befragten ihre allgemeinen Erwartungen an die Zukunft als Antwort geben, die von den veröffentlichten Prognosen der Volkswirte und den Entwicklungen auf den Finanzmärkten beeinflusst sein können. Der Kreis schließt sich dann, wenn die Volkswirte ihre Prognose aufgrund der Veränderungen der Geschäftserwartungen anpassen.
Viele Wirtschaftspolitiker und Konjunkturbeobachter sind sich der Rückkopplungseffekte ihrer Prognosen für die zukünftige Entwicklung durchaus bewusst. Sie räumen ein, dass es zu sich selbst erfüllenden Prognosen kommen kann, wenn Unternehmen aufgrund von Erwartungen ihre Geschäftstätigkeit ändern.
Rückkopplungseffekte treten auf
Mancher Wirtschaftspolitiker vertraut dem Rückkopplungseffekt so stark, dass er glaubt, die Konjunktur "gesund reden" zu können. Weniger Beachtung hat dagegen gefunden, dass sich Prognosen auch selbst zerstören können, wenn die Wirtschaftspolitik und die Finanzmärkte stark darauf reagieren.
So hat zum Beispiel der Einbruch der Geschäftserwartungen nach dem 11. September die Zentralbanken der wichtigsten Industrieländer veranlasst, ihre Leitzinsen deutlich zu senken. Gleichzeitig fielen die Zinsen auf den Kapitalmärkten und die Finanzpolitik in den USA schaltete auf Expansion.
Vom Wesen der Rückkopplungseffekte
Der von der Politik und den Finanzmärkten ausgehende expansive Impuls hat sicherlich dazu beigetragen, dass das Wirtschaftswachstum sich weniger verlangsamte und früher wieder beschleunigte als dies die Geschäftserwartungen noch im Oktober nahe legten. Im Umkehrschluss kann es aber auch vorkommen, dass die Wirtschaftspolitik und die Finanzmärkte auf sehr optimistische Erwartungen mit restriktiven Impulsen reagieren, so dass die Erwartungen enttäuscht werden.
Die Rentenmärkte haben sich in der Tendenz auf frühzeitige und recht starke Zinserhöhungen durch die Zentralbanken der Industrieländer eingestellt. Außerdem sind die Rohstoffpreise teilweise in Erwartung einer weltwirtschaftlichen Erholung gestiegen und die deutschen Gewerkschaften scheinen die erwartete Konjunkturbelebung in der diesjährigen Lohnrunde schon vorwegnehmen zu wollen.
Angesichts der immer noch schwachen aktuellen Wirtschaftslage dürften höhere Kosten für Fremdkapital, Rohstoffe und Arbeit die Gewinne der Unternehmen aber gehörig unter Druck setzen, was ihrer Bereitschaft zu mehr Investitionen und höherer Beschäftigung einen Dämpfer verpassen könnte.
Es ist durchaus möglich, dass sich die durch Rückkopplungseffekte entstandenen überaus optimistischen Prognosen selbst zerstören, eben weil sie weitreichend Gehör finden.