Die Goldman-Sachs-Kolumne Spiel mit dem Feuer
Im günstigsten Fall sind in der diesjährigen Lohnrunde beschäftigungsneutrale Lohnabschlüsse zu erwarten. Das Risiko ist aber nicht gering, dass die Tarifparteien wieder einmal Lohnerhöhungen vereinbaren, die zu Arbeitsplatzverlusten führen werden. Ein Anschub der Inflation durch überzogene Lohnabschlüsse ist dagegen wenig wahrscheinlich.
Seit Anfang der neunziger Jahre verlieren die Gewerkschaften Mitglieder. Zum Teil war dies das Resultat des Niedergangs des verarbeitenden Gewerbes in den neuen Bundesländern nach den überzogenen Lohnsteigerungen kurz nach der Vereinigung.
Aber vielleicht noch wichtiger waren der Strukturwandel hin zu Dienstleistungen, bei denen der gewerkschaftliche Organisationsgrad niedriger ist, und die Unzufriedenheit der Gewerkschaftsmitglieder mit den niedrigen realen Nettolohnsteigerungen der vergangenen Jahre.
Zu der unbefriedigenden realen Einkommensentwicklung haben mäßige Bruttolohnerhöhungen, ein starker Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge und, in letzter Zeit, höhere Inflation aufgrund von indirekten Steuererhöhungen sowie höheren Öl- und Nahrungsmittelpreisen beigetragen.
Die Gewerkschaften kämpfen um Mitglieder
Die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt dass aggressive Lohnrunden begleitet von Warnstreiks oder unbefristeten Arbeitsniederlegungen ein gutes Mittel gegen den gewerkschaftlichen Mitgliederschwund sind. Diese Lehre scheint insbesondere die IG Metall zu beherzigen, die dieses Jahr die Lohnführerschaft für die Gesamtwirtschaft übernehmen will. Die Strategie der Gewerkschaftsführer könnte dabei sein, die Lohnverhandlungen aggressiv zu führen und dann einem Abschluss zuzustimmen, der zumindest den Gewerkschaftsmitgliedern nicht den Arbeitsplatz kostet. Zu dieser Strategie passen die Lohnforderungen von 6,5 Prozent und die publikumswirksamen Warnstreiks.
Die Arbeitgeber scheinen sich dieser Strategie anzupassen. Ihr Angebot von zwei Prozent pro Jahr für 2002 und 2003 signalisiert Kompromissbereitschaft. Gleichzeitig lässt die Taktik, den Abschluss noch etwas hinauszuzögern, Verständnis dafür erkennen, dass die Gewerkschaft die Auseinandersetzung noch eine gewisse Zeit braucht, um den Zweck der Mitgliederwerbung zu erfüllen. Ein früher Abschluss wäre wohl nur um einen hohen Preis zu haben.
Die Gefahren für den Aufschwung
Glücklicher Ausgang ungewiss
Mit etwas Glück könnte die Strategie der Gewerkschaft aufgehen, mit der Forderung von 6,5 Prozent und den Warnstreiks ihr Profil zu heben ohne die Arbeitsplätze der Mitglieder zu zerstören. Dazu müsste ein Abschluss von gerade mal drei Prozent Lohnerhöhung in der Metallindustrie und in den anderen Sektoren der Wirtschaft am Ende der Auseinandersetzung stehen.
Nimmt man an, dass ein neuer Vertrag ab März laufen würde, könnte die tarifliche Lohnerhöhung im Kalenderjahr 2002 ungefähr 2,8 Prozent betragen. Unterstellt man einen negativen "Lohndrift" (zum Beispiel durch den Abbau außertariflicher Leistungen) von rund 0,5 Prozent würde die effektive Lohnerhöhung noch rund 2,3 Prozent ausmachen. Dies entspräche in etwa dem nominalen Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) (wenn man 0,7 Prozent reales Wachstum und 1,5 Prozent Inflation annimmt), würde daher die Einkommensverteilung zwischen Arbeit und Kapital unverändert lassen, und wäre damit "technisch" auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht beschäftigungsneutral.
Höherer Tarifabschluss ist gefährlich
Doch ist das Risiko nicht gering, dass der Abschluss höher ausfallen könnte. Zum einen ist es unklar, ob die Gewerkschaftsführer die Beschäftigungswirkungen überzogener Lohnerhöhungen auch wirklich verstehen. Zumindest nach außen verkünden sie die längst widerlegte These, dass Lohnerhöhungen zu mehr Arbeitsplätzen führen. Zum anderen ist fraglich, ob sie die Emotionen ihrer Mitglieder so kontrollieren können, dass diese eine Lohnerhöhung von drei Prozent akzeptieren würden, nachdem sie für 6,5 Prozent in den Kampf geschickt wurden.
Sollte es zu Lohnsteigerungen von mehr als drei Prozent kommen, dürfte der Beschäftigungsabbau weitergehen. Insbesondere die metallverarbeitenden Unternehmen stehen in hartem internationalem Wettbewerb und dürften kaum Spielraum haben, höhere Lohnkosten auf die Preise überzuwälzen. Deshalb würden hohe Lohnsteigerungen wohl zu einem Schrumpfen der Gewinnmargen führen. Bei geringeren Gewinnen würden die Unternehmen Investitionen zurückstellen und weitere Arbeitsplätze abbauen. Der Aufschwung wäre wegen fortgesetzter Investitions- und Konsumschwäche ernsthaft gefährdet.
Die EZB wird nervös
Positive Überraschung möglich
Allerdings ist auch eine positive Überraschung möglich. Lohnverhandlungen der IG Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) mit den Arbeitgebern dieser Branchen finden parallel zu der Auseinandersetzung in der Metallindustrie statt.
Wie schon vor zwei Jahren könnte die IGBCE mit einem maßvollen Abschluss vorpreschen und an Stelle der IG Metall den Maßstab für Lohnerhöhungen in anderen Bereichen setzen. Für eine solche positive Überraschung spricht die politische Verbundenheit des IGBCE Vorsitzenden Schmoldt mit Bundeskanzler Schröder, der sich schon besorgt über einen Arbeitskampf und hohe Lohnsteigerungen geäußert hat.
Die EZB wird nervös
Angesichts des wirtschaftlichen Gewichts Deutschlands ist die Lohnrunde hier von Bedeutung für ganz Euroland. Überzogene Lohnerhöhungen, die Deutschland schwächen, würden auch den Aufschwung in Euroland bremsen.
Zudem zeigen die jüngsten Äußerungen von EZB-Präsident Duisenberg, dass hohe Lohnsteigerungen in Deutschland wohl auch die Inflationsängste der EZB schüren könnten. Auch wenn dies ökonomisch letztlich nicht sinnvoll wäre, könnte die EZB aus Furcht vor einer Überwälzung der Lohnsteigerungen auf die Preise die Zinsen erhöhen. Durch eine solche Reaktion würden die wachstumsschwächenden Wirkungen überzogener Lohnsteigerungen noch verstärkt.
Es scheint, dass die Finanzmärkte einen guten Ausgang der deutschen Lohnrunde in den Preisen eskomptiert haben. Sollte es eine unangenehme, den Aufschwung belastende Überraschung geben, könnte der Aktienmarkt darunter leiden und die Zinsstrukturkurve flacher werden.