Interview "Die Inflation steigt sofort"
mm.de:
Steigende Produktionskosten, Inflationsgefahr, weniger Geld in den Taschen der Verbraucher ein steigender Ölpreis hat viele negative Effekte. Welchen Aspekt halten Sie in der aktuellen konjunkturellen Situation für entscheidend? Welcher Effekt birgt das größte Risiko?
Varnholt, Voser: Der steigende Ölpreis wirkt sich generell mit einer Verzögerung von circa zwölf Monaten auf das Wirtschaftswachstum aus. Die gegenwärtige Konstellation könnte zu einer beschleunigten Übertragung führen. Die Inflation steigt nämlich sofort und ist eine ernst zu nehmende Belastung für die Anleihenmärkte in der gegenwärtigen Phase der Wirtschaftserholung. Das Resultat sind nicht nur steigende Renditen, sondern auch steigende Hypothekarzinsen, die wiederum den Immobilienmarkt belasten.
Mit steigenden Zinsen werden die Umschuldungen auf amerikanischen Privatimmobilien immer schwieriger und reduzieren damit die Ausgabefreudigkeit amerikanischer Konsumenten. Einzigartig an dieser Konstellation ist der Umstand, dass der amerikanische Privatkonsum schon einen Marathon hinter sich hat und schnell ins Stolpern geraten könnte, über einen Faktor wie diesen.
Da circa 75 Prozent des Wirtschaftswachstums in den USA vom Privatkonsum getragen werden, ist diese Gefahr sehr ernst zu nehmen. Ein Grund, warum die amerikanische Zentralbank Bereitschaft signalisiert, die Zinsen zu erhöhen, zielt auf eben diese Inflationsangst am Bondmarkt ab.
mm.de: Wie kann sich ein Anleger gegen einen steigenden Ölpreis absichern? Reicht die Beimischung einiger Öltitel aus?
Varnholt, Voser: Vor allem durch Übergewichtung des Sektors der Öl- und Gastitel samt Ölservicetiteln. Eine Beimischung würde im Falle eines starken Ölpreisanstieges über 35 Dollar die negativen Auswirkungen im übrigen Portfolio wohl nicht mehr ausgleichen; da das Sektorgewicht momentan 7,6 Prozent im Weltindex von MSCI ausmacht, müssten in einem solchen Fall wohl mehr als zwei von zehn Aktien aus dem Energiesektor sein.
mm.de: Welche Branchen sind durch hohe Ölpreise besonders gefährdet?
Varnholt, Voser: Am meisten exponiert sind die großen Energieverbraucher, vor allem der Transportsektor mit den Fluggesellschaften. Auch der Industriesektor und der zyklische Konsumsektor (Autosektor samt Zulieferern wie vor allem die Gummiindustrie) sind negativ betroffen.
mm.de: Welche Öltitel haben derzeit das größte Potenzial?
Varnholt, Voser: Unser Favorit im Sektor ist die amerikanische Marathon Oil, die keine Reserven und Aktivitäten im Nahen und Mittleren Osten hat. Das mittelgroße Unternehmen ist Klassenbester im Raffinerie- und Marketingbereich in den USA und der Aktienkurs ist deutlich gegenüber dem Sektor zurückgeblieben. Bei den so genannten Majors oder großen Ölkonzernen bevorzugen wir TotalFinaElf und ExxonMobil.
mm.de: Ist in diesem Jahr mit einer ähnlichen Ölpreis-Explosion wie 1999/2000 zu rechnen? Gibt es Anzeichen, dass sich trotz der Spannungen im Nahen Osten der Ölpreis wieder auf einem etwas niedrigeren Niveau einpendelt?
Varnholt, Voser: Wir rechnen nicht mit einer Ölpreis-Explosion mit der Ausnahme, dass Saudi-Arabien nicht mehr produzieren und exportieren könnte - aus folgenden Gründen: Erstens verfügt die Opec noch über große Reservekapazitäten; Saudi-Arabien könnte beispielsweise die Exporte von Iran ersetzen. Zweitens hat Russland angekündigt, bei weiter steigenden Ölpreisen die Exporte auch schon vor Ende Juni wieder zu erhöhen. Und drittens haben die Öllager in Nordamerika zuletzt wieder stärker als erwartet zugenommen und liegen auf komfortablen Niveaus.
Zudem haben Saudi-Arabien und auch andere Opec-Mitglieder massive Budgetdefizite und sind auf die Öleinnahmen dringend angewiesen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass der Ölpreis ohne die Risiken im Nahen Osten rund zwei bis fünf Dollar tiefer liegen würde; wir rechnen mit einem Rückgang der Ölpreise Richtung 20 Dollar aus ökonomischen Faktoren, falls die Risiken wegfallen oder sich reduzieren. Sobald die Nicht-Opec-Mitglieder Russland, Norwegen und Mexiko ihre solidarische Angebotsreduktion ab Juli aufgeben, dürfte den Ölpreis wieder unter 25 Dollar drücken.