Andreas Lindenberg, Mitgründer und Ex-Vorstand der WWL Internet AG, hat seine Erfahrungen mit der Börse in dem Buch "Albtraum Neuer Markt" schonunglos offen beschrieben. Im Interview mit manager-magazin.de erzählt er, wie es zu dem Absturz des "Wachstums-Segments" und seiner Firma kommen konnte.
Lindenberg: Mit Sicherheit. Wenn Sie mich heute fragen, ob wir und unsere AG damals börsenreif waren, muss ich Ihnen sagen: Wir hielten uns für börsenreif, aber nach allem, was ich heute weiß, waren wir es nicht wirklich. Wir waren völlig unbedarft.
mm.de: Was heißt das konkret?
Lindenberg: Ein Beispiel: Das Regelwerk sieht vor, dass Nemax-Firmen nach IAS oder US-GAAP zu bilanzieren haben. Aber kaum einer versteht doch vorher, was das bedeutet. Ich behaupte heute: Würde man verlangen, dass alle AGs vor dem IPO mehrere Quartale nach diesen Regeln bilanziert haben, gäbe es schon im Vorfeld eine erhebliche Ausschussquote. Da würde sich die Spreu vom Weizen trennen. Hätte man das von Anfang an zur Voraussetzung gemacht, wäre dem Neuen Markt einiges erspart geblieben.
mm.de: Den Anlegern vermutlich auch, die seit dem 10. März 2000 ein Börsenvermögen von über 200 Milliarden Euro am Neuen Markt verloren haben...
Lindenberg: Richtig. Ein weiteres Problem war übrigens die Eitelkeit verschiedener Beteiligter, die mitunter schon zu kuriosen Situationen führte. Man muss einfach sehen, dass damals viele junge Leute plötzlich zu sehr viel Geld gekommen waren. Die waren mit dieser Situation zum Teil total überfordert und kamen dann auch sehr schnell an einen Punkt, wo sie für qualifizierte Ratschläge kaum noch zugänglich waren. Die Kritikfähigkeit war völlig außer Kraft gesetzt.
mm.de: Ähnliches gilt wohl auch für das Kostenbewusstsein in den Vorstandsetagen, wenn die Geschichten stimmen, die man mitunter aus Nemax-Unternehmen hört.
Lindenberg: Dazu kann ich auch eine Anekdote beisteuern. Ein Kollege hatte irgendwann die Idee, wir müssten unbedingt ein Strategie-Wochenende veranstalten. Also wurde das "Traube Tonbach" im Schwarzwald gebucht so ziemlich das teuerste Hotel, das man in Deutschland finden kann. Als ich die Preise sah, bin ich zum Aufsichtsrat gegangen und habe gefragt: "Wer zahlt denn das alles?" Und er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt: "Ist alles schon geklärt. Kein Problem." Als ich mich darüber aufregte, legte er mir väterlich die Hand auf die Schulter und sagte: "Andreas, mein Lieber, wir wollen doch die Kirche im Dorf lassen. Wegen 20.000 Mark kippt unsere Firma nicht um..."
mm.de: Da hatte er ja zunächst mal nicht unrecht.
Lindenberg: Stimmt. Wenn es bei einem Mal bleibt. Aber wenn ein solcher Umgang mit dem Geld zur Regel werden, hält das keine Firma lange durch.