Börse Rallye oder Strohfeuer?
Frankfurt - Nach dem Tiefpunkt der Aktienmärkte im Gefolge der Terror-Anschläge in den USA hat sich die Stimmung deutlich gebessert. Seit Mitte September ist der Dax von etwa 3600 Punkten deutlich gestiegen und notiert nun knapp unter der Marke von 5300 Punkten.
Bei Analysten und Händler weckt das Hoffnung für die weitere Entwicklung. Viele von ihnen sehen den Dax bereits bei 6000 Punkten. Allerdings gibt es auch kritische Stimmen.
Anfang 2002: Rezession
Gerhard Schwarz, Leiter Portfolio-Strategie der HypoVereinsbank, zeigt sich optimistisch für das neue Jahr. Eine Rally bis auf 5600 Zähler in den ersten sechs Monaten sei nicht ausgeschlossen - am Jahresende könnte gar die Zahl von 6000 die Indextabellen zieren.
Schwarz geht davon aus, dass sich die Konjunktur von Quartal zu Quartal erholen wird. Vor allem die Finanzmarktpolitik der Fed werde greifen. Doch zuvor müsse man in Deutschland noch einmal in einen sauren Apfel beißen: Das Wachstum beim Bruttoinlandsprodukt werde wohl in den ersten beiden Quartalen des kommenden Jahres ein negatives Vorzeichen haben - technisch sei das eine Rezession.
Stephen S. Roach von Morgan Stanley geht davon aus, dass nach dem Schock des 11. Septembers vier "Nachwehen" die Entwicklung der Konjunktur und der Aktienmärkte im kommenden Jahr bestimmen werden: Ein schwacher Yen, eine schwache Nachfrage insgesamt in den Vereinigten Staaten, die Euro-Schwäche und die Möglichkeit der Deflation.
Roach korrigierte bereits seine Schätzungen für das Wachstums des Bruttoinlandsproduktes in Euroland für 2002 von 1,5 auf 0,8 Prozent nach unten. Wenn sich diese Szenarien bewahrheiten, könnten die Aktienmärkte noch stärker in Mitleidenschaft gezogen werden als in den Wochen nach dem 11. September.
Die Kollegen von Roach, Richard Davidson, Ben Funnell und Teun Draaisma gaben sich optimistischer. Sie erwarten eine ordentliche Rally. Die Gründe: niedrige Zinsen, hohes Geldmengenwachstum und eine einsetzende Erholung der Konjunktur.
Warnung vor überhöhten Erwartungen
Nach Ansicht der Marktbeobachter der WestLB Panmure setzt der Markt auf einen sehr raschen und robusten weltweiten Konjunkuraufschwung. Der scheint aber "alles andere als sicher" zu sein. Deshalb sei das Risiko einer Liquiditätsblase "groß".
Die Analysten warnen vor überhöhten Erwartungen. Ihre Kernaussage: "Der Boom der 90er Jahre war die Ausnahme, nicht die Regel." Außerdem stünden in Deutschland und Frankreich im Jahr 2002 Wahlen an. Da sei es wenig wahrscheinlich, dass im Vorfeld wichtige aber meist unpopuläre Reformen auf den Weg gebracht werden.
Das Fazit der Analysten: In Europa würden die "aktuellen Defizite" eher bestehen bleiben, so dass sich kein starkes Argument fände, warum die europäischen Aktienmärkte in absehbarer Zeit für ausländische Investoren attraktiver werden sollten. Zudem hätten die Erfahrungen mit den US-Rezensionen der vergangenen 40 Jahre gezeigt, dass nicht gleich mit steigenden Unternehmensgewinnen gerechnet werden darf, wenn das konjunkturelle Tief erst einmal erreicht ist.
Wechsel in Telekom- und zyklische Werte empfohlen
Die US-Investmentbank Merrill Lynch schätzt die Entwicklung im Aktiengeschäft für das Jahr 2002 verhalten optimistisch ein. Die Kurse scheinen den Boden erreicht zu haben, sagte Ernst Fassbender, Managing Director bei Merrill Lynch. Außerdem seien die Anleger wieder zu Investitionen bereit, weil sie über genügend Kapital verfügten und laut einer Umfrage Aktien derzeit im Durchschnitt als günstig betrachteten.
Fassbenders US-Kollege Michael Hartnett schlug sich ebenfalls auf die Käuferseite. Er rät jedoch, im kommenden Jahr von Finanztiteln und Versorgern in Telekomaktien und zyklische Werte umzuschichten.
Nach seiner Ansicht ist eine Konsolidierung des Aktienmarktes wahrscheinlicher als eine dramatische Rally. Das ließen die konjunkturellen Bedingungen gar nicht zu, und daran werde sich in den nächsten 18 Monaten nicht so viel ändern.