Die Goldman-Sachs-Kolumne Taten statt Worte
Frankfurt - Monatelang haben die Marktteilnehmer auf eine Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) gewartet. Als sich die Notenbank vor gut zehn Tagen zu diesem Schritt durchringen konnte, kam das für den Markt allerdings wie ein Schock. Obwohl die Geldmarktsätze nachgaben, stiegen die langfristigen Zinssätze und der Euro verlor an Wert. Was lief schief?
Nachdem die Federal Reserve Bank am 3. Januar zum ersten Mal die Zinsen gesenkt hatte, wurde in Euroland erwartet, dass die EZB nachzieht. Die Notenbank überzeugte die Marktteilnehmer allerdings im ersten Quartal davon, dass das wirtschaftliche Umfeld in Europa nicht mit dem in den USA zu vergleichen ist. Deshalb verfolge sie auch ihre eigene Geldpolitik. Bis Ende März vermochte die EZB die Erwartungen so unter Kontrolle zu halten. Nach entsprechenden Äusserungen einiger Zentralbankratsmitgliedern rechneten viele Marktteilnehmer aber dann doch fest mit einer Lockerung der Geldpolitik im April. Diese Hoffnung wurde dann aber nicht erfüllt.
EZB-Präsident Wim Duisenberg vermittelte dem Markt darüber hinaus den Eindruck, dass eine Zinssenkung in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten sei, da weiterhin Risiken für die Preisstabilität bestünden. Die Folge davon war ein Anstieg der Terminmarktsätze für Dreimonatsgeld - der kräftigste seit Beginn der Währungsunion. Als es am 10. Mai dann zu der unerwarteten Zinssenkung kam, änderte sich das Bild wieder schlagartig. Die erwarteten Geldmarktsätze sanken, während die langfristigen Zinsen stiegen und der Euro fiel.
Wirtschaftliches Umfeld stützt Zinsentscheid
Was hat die EZB zu diesem Schritt veranlasst? Der GS Monetary Condition Index - ein gewichteter Durchschnitt der realen kurz- und langfristigen Zinsen und der prozentualen Veränderung des realen Wechselkurses - zeigte bereits seit geraumer Zeit eine expansive Geldpolitik an, forderte also keine Zinssenkung heraus. Allerdings kann der Index in die Irre führen, wenn er nicht ausschließlich durch die Geldpolitik beeinflusst wird, sondern andere Faktoren wie z.B. eine reale Abwertung der Währung eine Rolle spielen. Das monetäre Umfeld ist deshalb ein wenig brauchbarer Indikator.
Ein anderes Bild zeigt das Geldmengenwachstum. Die Abschwächung der Kreditnachfrage und des Geldmengenwachstums zeigen, dass der Raum für Zinssenkungen gewachsen ist. Zwischen April 2000 und Februar 2001 hat sich das durchschnittliche Wachstum von M3 von 6,5% auf 4,8% verringert. Nach Revision der M3 Daten nimmt sich die Abschwächung des Geldwachstums noch deutlicher aus. Auch der sogenannte Taylor Zins unterstützt eine Zinssenkung. Unserer Schätzung nach beträgt der Taylor-Zins zur Zeit 4,25%. Mit der Senkung um 25 Basispunkte auf 4,5% hat die EZB den Refinanzierungssatz für Geschäftsbanken also näher an den Taylor-Zins herangeführt.
EZB hinkt der fundamentalen Entwicklung hinterher
Der Vergleich der tatsächlichen Zinsentwicklung mit demTaylor-Zins zeigt auch, dass die EZB hinter der fundamentalen Entwicklung tendenziell herhinkt. Anfang 1999 senkte die EZB die Zinsen, obwohl sich die Wirtschaft stabilisiert hatte. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres drehte sie weiter an der Zinsschraube, obwohl der Taylor-Zins anzeigte, dass die Zinsen ihren Höhepunkt erreicht hatten.
Auch mit der jüngsten Senkung ist die Zentralbank spät dran. Deshalb bleibt noch Raum für weitere Senkungen. Wir erwarten, dass in den kommenden drei Monaten eine Senkung von 25 Basispunkte (Bp) ansteht und ein weiterer Schritt von 25 Bp in der ersten Hälfte des kommenden Jahres folgen wird.
Der Markt ist verunsichert
Da die jüngste Zinssenkung durch das fundamentale Umfeld gestützt wurde, scheint der Anstieg der Langfristzinsen und die Abwertung des Euro ungerechtfertigt. Diese Reaktion wurde denn auch vielmehr durch die Unsicherheit des Marktes über die künftige Geldpolitik der EZB als durch Inflationsfurcht ausgelöst. Denn die wiederholt falsche Einschätzung der Geldpolitik durch die Marktteilnehmer hat zu einer höheren Zinsvolatilität geführt. Um das erhöhte Zinsrisiko zu kompensieren fordern die Marktteilnehmer höhere Langfristzinsen und einen billigeren Euro.
Ein tieferer Wechselkurs und hohe Langfristzinsen gefährden aber die wirtschaftliche Wohlfahrt. Deshalb muss die EZB die Kommunikation mit den Finanzmärkten verbessern. Die richtige Entscheidung zu treffen und diese dem Finanzmarkt klar mitzueilen, sind die zwei Seiten der gleichen Medaille. Die EZB sollte dem Finanzmarkt erklären, wie sie die wirtschaftlichen Indikatoren interpretiert, und die Geldpolitik konsequent danach ausrichtet.
Konsequent kommunizieren
Die hohe Inflation als Grund für unveränderte Zinsen in den vergangenen Monaten anzuführen war ebenso wenig überzeugend, wie die überraschende technische Revision der Geldmenge zu bemühen, um die nun erfolgte Senkung zu erklären. Deshalb spekulieren die Marktteilnehmer nun darüber, ob nicht vielleicht andere Motive für den Zinsschritt verantwortlich waren, wie beispielsweise die Angst vor einem schwächeren Wirtschaftswachstum. Dies schadet der Glaubwürdigkeit der EZB.
Der Mangel an Klarheit und Konsequenz in der Kommunikation und der Umsetzung der Geldpolitik deutet daraufhin, dass das Problem der EZB nicht allein in der ungeschickten Steuerung der Markterwartungen liegt. Unterschiedliche Ansichten über die Konjunkturentwicklung und die Geldpolitik innerhalb der EZB tragen zu der unklaren Kommunikation wahrscheinlich erheblich bei. Um dieses Problem zu verringern, könnte die EZB die unterschiedlichen Nuancen in den Ansichten der Zentralbankratsmitglieder für die Marktteilnehmer sichtbar machen, wie dies auch andere Zentralbanken tun.