Das Wall-Street-Kartell Retter in der Not
In der Wirtschaftskrise Anfang der 90er leistete der Fed-Chef den angeschlagenen US-Banken Beistand, indem er die Leitzinsen kräftig herunterschraubte. 1995, als die Mexiko-Krise die Börse nach unten zu reißen drohte, senkte er abermals die Zinsen.
Am deutlichsten wurde die Rolle der Fed als Retter in der Not beim Beinahekollaps des Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) im Herbst 1998. Der Fonds, in den mehrere Wall-Street-Häuser dreistellige Millionenbeträge investiert hatten, war durch die Zahlungskrise Russlands in Schwierigkeiten geraten. Topbanker wie Merrill-Lynch-Chef David Komansky hatten sogar ihr eigenes Geld in LTCM gesteckt.
Verzweifelt bettelten die Banker, die Fed müsse helfen. Andernfalls drohe der Untergang des Weltwährungssystems. Die Notenbank enttäuschte die Kumpel nicht.
Ein "Netzwerk alter Freunde" sei da am Werk gewesen, sagt der ehemalige Fed-Mitarbeiter Walker Todd. Immerhin gehörte mit David Mullins ein früherer Vizechef der Fed zum LTCM-Partnerkreis. Selbst Greenspans Vorgänger Paul Volcker wunderte sich, dass die Notenbank "ihr Gewicht" zur Rettung privater Investoren in die Waagschale werfe.
Ebenso erstaunlich: Die Banken durften ihr riskantes Spiel fortsetzen. Die Verhandlungen, wie das Derivategeschäft nach dem Fall LTCM in den Griff zu bekommen sei, führten für die Wall Street Gerald Corrigan von Goldman Sachs und Stephen Thieke von J. P. Morgan die ehemaligen Chefs der New Yorker Notenbank. "Die redeten mit ihren Nachfolgern darüber, wie man die Banken besser überwachen kann ein Witz", schimpft Ex-Notenbanker Todd.
Rücksichtnahme auf die Wall Street
Seltsam mutet auch das Verhalten der Fed während der Hightech-Blase des vergangenen Jahres an. Die Zentralbank erhöhte zwar die Zinsen, nicht aber die Sicherheitseinlagen für den Aktienkauf auf Kredit. Und das, obwohl die Spekulation auf Pump im März 2000 das Rekordvolumen von 280 Milliarden Dollar erreicht hatte.
Rücksichtnahme auf die Wall Street, die mit den Spekulanten gute Geschäfte machte? Manche in den USA vermuten das.
Absicherung auf fallende Kurse
Mehr noch: In den Zinssenkungen zu Beginn dieses Jahres sehen viele den Beweis dafür, dass Greenspan gar nicht anders kann, als den Finanzmärkten zu helfen. Um das riesige Loch in der Leistungsbilanz zu stopfen, muss der Notenbankchef täglich eine Milliarde Dollar an ausländischem Kapital ins Land locken. Das gelingt nur, wenn die Börsenkurse stabil und der US-Dollar stark bleiben.
Kritiker nennen das Phänomen den "Greenspan-Put", eine Absicherung gegen fallende Kurse. Investoren könnten sich darauf verlassen, dass die Fed eingreife, wenn die Aktien zu stark abrutschten.
Dieses Kalkül Greenspans im Hinterkopf, hat die Wall Street schon im Vorfeld der jüngsten Zinssenkung ausgiebig Stimmung gemacht. Merrill Lynch ermittelte im Herbst in einer Umfrage, die Mehrheit der Fondsmanager erwarte eine Senkung der Leitzinsen. Deutschbanker Yardeni stichelte, da sei noch eine Menge Platz zwischen 6,5 Prozent - dem US-Leitzins Ende 2000 - und null.
Zufall oder nicht, die Notenbank hat den Wunsch ihrer mächtigen Ratgeber wieder einmal erfüllt.
Für Yardeni war das keine Überraschung. Bevor "Ready Eddie", wie der Chefvolkswirt wegen seiner Medienpräsenz genannt wird, zur Deutschen Bank kam, war er unter anderem bei der Fed und beim US-Finanzministerium tätig.
Der Mann weiß, wie das Spiel läuft: "Märkte und Wirtschaft sind wie eine Soap Opera. Man muss nicht jede Episode sehen, um zu wissen, wie es ausgeht."
Patricia Döhle/Wolfgang Hirn/Ulric Papendick
Das Wall-Street-Kartell
Ein Blick hinter die Kulissen der US-Finanzwirtschaft