Müllers Memo Draghis Reise in das Schattenreich des Euro

Euro-Münze: Aus Inflation wird Deflation. Aus Wachstum wird Schrumpfung. Aus Sparzinsen werden Strafgebühren
Foto: DPADie Reise ins Schattenreich geht weiter. Wir sind auf dem Weg in ein wirtschaftliches Paralleluniversum, eine Welt, in der Gewohntes nicht mehr gilt, in der sich vieles ins Gegenteil verkehrt: Aus Plus wird Minus, aus Gut wird Schlecht, aus Richtig wird Falsch. Eine Anti-Ökonomie.
Die Frage ist, ob wir diesen Weg tatsächlich gehen müssen - oder ob wir gerade dabei sind, uns immer weiter zu verirren. Bei seiner Sitzung am Donnerstag (10. März) wird der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) an einer weiteren Verzweigung auf dem Pfad zum Schattenreich stehen.
Bei der Reise in die Tiefen der Anti-Ökonomie zeigen die wirtschaftspolitischen Navigationsinstrumente seltsame Dinge an: Aus Inflation wird Deflation. Aus Wachstum wird Schrumpfung. Aus Sparzinsen werden Strafgebühren. Aber es gibt auch gegenteilige Signale, übersprudelnde Immobilienmärkte beispielsweise.
Obwohl die EZB immer mehr Geld in die Märkte pumpt, sinken die Konsumentenpreise: Die Inflationsrate in der Eurozone lag im Februar bei minus 0,2 Prozent. Selbst wenn man Öl und andere Rohstoffe herausrechnet, beträgt die Preissteigerung nur noch 0,7 Prozent - weit unterhalb der angepeilten Rate von 2 Prozent. Auch die langfristigen Inflationserwartungen fallen immer weiter. Das Wachstum ist so schwach, dass die Eurozone immer noch nicht das Produktionsniveau erreicht hat, das vor der Krise herrschte.
So durchleidet Italien einen schleichenden Niedergang. In vielen Ländern Europas ist die Arbeitslosigkeit immer noch hoch, auch wenn sie seit 2013 leicht zurückgegangen ist.
EZB wird nachlegen - und die Reise ins Schattenreich beschleunigen
Was jetzt? EZB-Chef Mario Draghi hat immer wieder verkündet, die Zentralbank werde nicht klein beigeben. Es ist erst drei Monate her, seit die EZB zuletzt ihr Programm zum Aufkauf von Anleihen noch mal aufgestockt hat, auf rund 1,5 Billionen Euro. Außerdem werden Banken, die bei der EZB Reserven parken, mit immer höheren Strafgebühren belastet: Der negative Einlagezins liegt seit Dezember bei minus 0,3 Prozent.
Bei seiner Sitzung am Donnerstag dürfte der Rat der Zentralbank noch mehr beschließen: noch mehr Anleihen vom Markt kaufen, die Strafgebühr auf Einlagen noch weiter erhöhen, vielleicht auch die Banken im Euroraum noch gezielter dazu anregen, mehr Unternehmensinvestitionen zu finanzieren.
Meine Befürchtung ist, dass solche Maßnahmen die Reise ins Schattenreich beschleunigen.
Galoppierende Inflation bei Immobilienpreisen
Ganz grundsätzlich: Dass die wirtschaftliche Lage vielerorts in der Eurozone schwierig bleibt, ist eine Spätfolge des Booms der 2000er Jahre. Damals stieg die Geldmenge viel schneller, als es die EZB eigentlich für gut hielt. Eigentlich hatte sich die Zentralbank vorgenommen, die Geldmenge M3 - die Summe aus Bargeld, Giro- und Spareinlagen, Termingeldern und anderen ähnlich liquiden Mitteln - solle im Schnitt um rund 4,5 Prozent pro Jahr steigen.
Die Idee dahinter: Der Wirtschaft sollte gerade soviel Geld zur Verfügung stehen, wie Bürger und Unternehmen für ihre Transaktionen mit Gütern und Dienstleistungen brauchten. Nicht mehr, damit es nicht zu übermäßiger Nachfrage und steigenden Inflationsraten käme. Aber auch nicht weniger, damit die Wirtschaft nicht durch ein zu enges monetäres Korsett erdrosselt würde.
In der Realität ließ es die EZB zu, dass M3 viel schneller wachsen konnte als angepeilt, in manchen Jahren sogar zweistellig. In der Spitze, 2008, waren ein Fünftel mehr liquide Mittel im System, als eigentlich nötig gewesen wären - rund zwei Billionen Euro zu viel.
Hätten die Notenbanker ihre eigene 4,5-Prozent-Regel ernst genommen, sie hätten eine Menge Probleme verhindern können. Denn das Spiegelbild der Geldmenge M3 ist die Verschuldung; Geld entsteht schließlich überwiegend durch die Kreditschöpfung der Geschäftsbanken. Entsprechend gab es Jahre, da nahmen Bürger und Unternehmen in einigen Ländern Kredite in Höhe von mehr als einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts auf. Gelder, die überwiegend für Hauskäufe eingesetzt wurden.
Der Geldüberhang produzierte eine galoppierende Immobilieninflation: In Spanien, Irland oder Frankreich stiegen die Wohnungspreise binnen weniger Jahre um mehr als die Hälfte.
Faule Kredite werden viel zu schleppend abgeschrieben
An diesen Entgleisungen leidet die Eurozone bis heute: Die privaten und staatlichen Schulden sind immer noch hoch. Das dämpft das Wirtschaftswachstum. Wo die Wirtschaft nicht wächst, wie in Italien, können viele Schuldner ihre Bankkredite nicht mehr bedienen. Kredite werden nicht zurückgezahlt, Banken geraten in Schieflage. Die beste Lösung wäre es, faule Kredite im großen Stil abzuschreiben und damit die Banken auf eine solidere Grundlage zu stellen. Das geschieht aber viel zu schleppend im Euroraum.
Die EZB versuchte in den vergangenen Jahren, die Schmerzen der Krise zu lindern, indem sie den Banken im Euroraum allerlei billige längerfristige Hilfskredite anbot. Nun aber scheint sie, den richtigen Ausstiegszeitpunkt zu verpassen: Die Geldmenge wächst wieder mit Raten von über 5 Prozent. In Irland bläht sich die nächste Immobilienpreisblase auf, bei abermals rasch zunehmender privater Verschuldung.
Auch in Deutschland steigen die Häuserbewertungen rasch: In den sieben größten Städten, rechnete kürzlich die Bundesbank vor, sind die Immobilienpreise in den vergangenen fünf Jahren um 45 Prozent gestiegen, in allen mittleren und größeren Städten zusammengenommen um 35 Prozent.
Mag sein, dass die Statistiker bei den Konsumentenpreisen derzeit eine Deflation registrieren. Bei den Immobilienpreisen hingegen herrscht Inflation: der nächste Boom, der den Keim für die nächste Krise in sich trägt.
Ein hässlicher Währungskrieg ist keineswegs abwegig
Aus diesem Blickwinkel wäre es für die EZB allmählich an der Zeit, vom Gas zu gehen. Zumindest wäre es angezeigt, erst einmal abzuwarten, wie die Maßnahmen, die sie im Dezember beschlossen hat, überhaupt wirken.
Risiken und Nebenwirkungen nehmen zu. Dabei ist der Aufkauf von immer mehr Staatsanleihen durch die EZB nicht mal das größte Problem. Negative Einlagezinsen belasten die Ertragslage ohnehin schwächelnder Banken zusätzlich. Nebenbei drücken sie tendenziell den Außenwert des Euro.
Kurzfristig mögen europäische Exporteure dadurch Vorteile genießen. Allerdings steigt das Risiko von Gegenmaßnahmen seitens wichtiger Handelspartner wie der USA. Das Szenario eines hässlichen Währungskriegs ist keineswegs abwegig.
Der Weg ins Schattenreich der Ökonomie führt durch unkartiertes Gelände. Vieles wird dort in sein Gegenteil verkehrt - vermutlich auch die Wirkung von Notenbankmaßnahmen.
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche
MONTAG
Brüssel - Lässt sich die Flüchtlingskrise doch noch lösen? - EU-Gipfel mit Beteiligung der Türkei. Die EU-Komission will ein neues Konzept vorlegen.
Brüssel - Im Kriechgang - Treffen der Euro-Finanzminister. Es geht mal wieder um die Reformen in den Programmländern Griechenland und Zypern.
München - Doppelniere, ganz groß - BMW begeht mit einem Festakt sein hundertjähriges Bestehen. Bayern-Premier Seehofer lässt sich die Glanzgelegenheit nicht nehmen.
DIENSTAG
Peking - Weltwirtschaftssignal - China meldet zahlen vom Außenhandel im Februar.
Wiesbaden - Weiter auf dem Rückzug? - Die Industrie schwächelt schon länger. Nun melden die Statistiker Zahlen zur deutschen Industrieproduktion im Januar.
Essen/Darmstadt - Licht, Schatten - RWE und Merck berichten vom Geschäftsjahr 2015.
Wolfsburg - Nach Diesel-Gate - Betriebsversammlung bei Volkswagen - mit vollem Aufgebot (Vorstandschef Müller, Niedersachsens Ministerpräsident Weil und Gesamtbetriebsratschef Osterloh).
MITTWOCH
Genf - Endlich Frieden? - Fortsetzung der Syrien-Gespräche.
Bonn/Essen - Globalisierung - Die Deutsche Post und Eon legen Zahlen vom Geschäftsjahr 2015 vor.
DONNERSTAG
Frankfurt - Extrem locker - Die Europäische Zentralbank entscheidet über weitere Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft.
München - Unendliche Geschichte - Fortsetzung des Prozesses gegen Deutsche-Bank-Co-Chef Fitschen, seine Vorgänger Ackermann und Breuer sowie zwei weitere Ex-Vorstände - wegen des Vorwurfs des versuchten Prozessbetrugs.
München - Jede Menge Gase - Linde bittet zur Bilanzpressekonferenz.
Kassel- Abwasser-Alarm - Der Düngemittelkonzern K+S legt seine Bilanz vor. Gegen Unternehmensspitzen laufen Ermittlungen wegen des Verdachts auf illegale Umweltbelastungen.
FREITAG
Frankfurt/München - Zahlen in Zeiten des Dauerkrisenmodus - Zwei Größen der deutschen Hochfinanz präsentieren Jahreszahlen: die Deutsche Bank und die Allianz.
SONNTAG
Stuttgart/Mainz/Magdeburg - Deutsches Beben - Union und SPD verlieren, die AfD gewinnt, Grün triumphiert - so in etwa sieht das Szenario aus, das sich aus Umfragen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ergibt. Fallen die Ergebnisse entsprechend aus, könnte die Spitzen der Berliner Großen Koalition ins Wanken geraten.