Börsenprofi Thomas Grüner erklärt Warum Anleger Schwellenländer im Blick behalten sollten

Containerhafen in China: Die Schwellenländer bieten für Anleger eine gute Option zur Beimischung.
Foto: Yu fangping - Imaginechina / APDie Emerging Markets sind für Anleger immer einen besonderen Blick wert. Eine heterogene Region, in der oftmals dynamisches Wachstum auf politische Risiken trifft. Die langfristige Kurshistorie zeugt von großen Krisen, wie zum Ende der 90er Jahre, und Goldgräberstimmung von 2003 bis 2007. Im laufenden Bullenmarkt hat der MSCI Emerging Markets Index relative Schwäche im Vergleich zu den Industrieländern gezeigt, dennoch verlief das Jahr 2019 bisher ebenso erfreulich.

Im Chartverlauf wird allerdings deutlich, dass die Schwellenländer nur bis zum Monat April mit der dynamischen Entwicklung der Industrieländer mithalten konnten. Es folgte eine zähe Seitwärtsphase, während der für die Industrieländer repräsentative MSCI World Index sukzessive neue Höchststände erklimmen konnte. Grund genug, sich die Situation und mögliche Ursachen für diese relative Schwäche etwas genauer anzuschauen.

Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman des Vermögensverwalters Grüner Fisher Investments (www.gruener-fisher.de ) mit Sitz in Rodenbach bei Kaiserslautern.
In Euro gerechnet weist der MSCI Emerging Markets Index im bisherigen Jahresverlauf eine Performance von 12,6 Prozent aus, der MSCI World Index bleibt mit 26,4 Prozent unerreicht. Die Hauptursache für diese relative Schwäche sehen wir in stimmungsgetriebenen Kursschwankungen begründet. Viele Investoren rund um den Globus haben gereizt auf die innerzyklische Abschwächung der Wirtschaft reagiert und gerade die flachen Marktphasen als potentielles Risiko für eine einsetzende Rezession und einen drohenden Bärenmarkt interpretiert. Sobald sich diese Ängste als falsch herausstellen, sehen wir Aufholpotential.
Im Rahmen des Handelskonflikts zwischen China und den USA werden Anleger permanent von Ängsten um eine wirtschaftliche Schwächung heimgesucht. Die chinesische Wirtschaft zeigt sich jedoch weiterhin belastbar. Auf Jahressicht hat sich das BIP-Wachstum im dritten Quartal 2019 auf 6,0 Prozent abgeschwächt, nach 6,2 Prozent Wachstum im zweiten Quartal. Die graduelle Verlangsamung geht also weiter, welche vor allem eine Verlagerung der wirtschaftlichen Schwerpunkte zur Ursache hat: mehr Dienstleistungen und Konsum, weniger Schwerindustrie und Exporte.
Dieser Wandel ist sozusagen von der chinesischen Regierung "mitkonstruiert", und ganz abgesehen davon ist es aufgrund der schieren Größe der chinesischen Wirtschaft mittlerweile unrealistisch geworden, die Wachstumsraten früherer Jahre als Maßstab heranzuziehen. Zudem zeigen die jüngsten Daten auch, dass sich Kreditvergabe und Geldmenge M2 in China auf einem robusten Niveau bewegen. Einzelhandelsumsätze und Industrieproduktion (7,8 Prozent bzw. 5,8 Prozent Wachstum auf Jahressicht) bestätigen die Vermutung, dass die Stimulus-Maßnahmen Chinas mittlerweile Früchte tragen.
Viele Schlagzeilen konzentrierten sich auf die Tatsache, dass die chinesischen Exporte in die USA im dritten Quartal 2019 um 15,1 Prozent gesunken sind. Wasser auf die Mühlen derer, die den Handelskonflikt als akute Gefahr für das chinesische Wachstum bezeichnen. Allerdings waren im Gegenzug steigende Warenlieferungen nach Vietnam, Taiwan und den Philippinen zu beobachten - ebenso zeigen diese Länder einen rapiden Anstieg an US-Importen. Viele Unternehmen "umschiffen" die Strafzölle im wahrsten Sinne des Wortes.
Im Endeffekt sind die chinesischen Exporte im dritten Quartal 2019 nur um 0,8 Prozent gesunken. Weitere Verhandlungen zwischen Trump und Xi werden stets das Potential haben, Einfluss auf die Marktstimmung auszuüben. Im Positiven, wenn konkrete Einigungen die Unsicherheit reduzieren - aber natürlich auch im Negativen, wenn sich die Fronten verhärten. Die Wandlungsfähigkeit der globalen Handelswege sollte jedoch verdeutlichen, dass viele Ängste in Bezug auf eine wirtschaftliche Schwächung überzogen sind.
China steht verstärkt im Fokus und stellt mittlerweile einen Anteil von über 30 Prozent im MSCI Emerging Markets Index, der Blick in die weiteren Schwellenländer ist allerdings nicht weniger interessant. Taiwan profitiert von gesteigerten Handelsaktivitäten, 4,0 Prozent mehr Exporte und 2,9 Prozent BIP-Wachstum im dritten Quartal 2019. Auch Südkorea stabilisiert sich trotz schwachem Baugewerbe bei 1,6 Prozent BIP-Wachstum, die äußerst volatilen Exporte zeigen aktuell 17,3 Prozent Wachstum an. Auch wenn die Schwellenländer natürlich sehr heterogen sind und nicht jedes einzelne Land in diese Dynamik einsteigen kann, erzeugen die Schwergewichte dennoch ein fundamental robustes Bild.
Neben wirtschaftlichen Daten sind politische Einflussfaktoren in den Schwellenländern nicht zu unterschätzen. An aufregende Schlagzeilen sollte man sich als Investor schnell gewöhnen. So steht Argentinien nach den Wahlen vor einem politischen Linksruck, die Wirtschaft liegt am Boden - glücklicherweise stellt Argentinien nur 0,17 Prozent der Schwellenland-Marktkapitalisierung. Nach jahrelangem Hin und Her ist die Pensionsreform in Brasilien einen Schritt weiter, das politische Umfeld bleibt jedoch skandalträchtig. In Chile gehen zehntausende Bürger auf die Straßen, um gegen die Regierung und die soziale Ungleichheit zu protestieren. Eine Analyse der politischen Situation in den Schwellenländern ist stets ein brisantes Thema - Investoren müssen also sorgfältig den Einfluss auf die Marktstimmung durch politische Unruhen abwägen.
Insgesamt kann man festhalten, dass die Emerging Markets das Spektrum eines global orientierten Anlegers optimal "abrunden". Auch in der aktuellen Marktphase, denn die relative Schwäche im Jahr 2019 ist mehr stimmungsgetrieben als wirklich tiefgründig. Und wer direkte Aktieninvestments scheut, der kann ebenso einen genauen Blick auf die Unternehmen aus Europa oder den USA werfen, die viele Geschäfte mit den Emerging Markets machen. Diese Unternehmen genießen die Vorteile des Wirtschaftswachstums, ohne die politischen Risikofaktoren in vollem Ausmaß mitzutragen.