Kapitalerhöhung Warum Rocket Internet jetzt so groß auftischt

Sushi für Feinschmecker: Schon längst haben Essenslieferanten das schlechte Image abgelegt und liefern mehr als fetttriefende Pizza. Rocket Internet will hier den Markt aufrollen
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesHamburg - Sie heißen Hello Fresh, Food Panda, Delivery Hero oder etwa Eat First - und sie sind Rocket-Internet-Chef Oliver Samwer ein Vermögen wert - und eine Kapitalerhöhung. Anfang Februar gab Samwer bekannt, sein Unternehmen würde das Liefergeschäft in der "Online Take Away Group" bündeln und kündigte zugleich ein paar kostspielige Wetten an.
Rocket Internet gab eine 30-Prozent-Beteiligung am Essenslieferservice Delivery Hero bekannt und ließ sich das Geschäft 496 Millionen Euro kosten. Delivery Hero ist in 24 Ländern präsent. In Deutschland firmiert das Unternehmen unter dem Namen Lieferheld.
Gleichsam übernahm Rocket den Essenslieferdienst Talabat aus Kuwait für rund 150 Millionen Euro. Ebenso erwarb der Börsenneuling Rocket 100 Prozent der südeuropäischen Anbieter für Online-Essensbestellungen La Nevera Roja in Spanien und Pizzabo in Italien. Zum Kaufpreis äußerte sich der Konzern nicht.
Und dann gab es da noch die erneute Finanzierungsrunde für Hello Fresh für 130 Millionen Euro, von der Rocket 100 Millionen Euro beisteuerte.
Diese Wetten ließen die Kassenbestände fix schrumpfen. Eine Milliarde Euro investierte Rocket seit dem Börsengang. Im Oktober hatte das Unternehmen über die Erstemission rund 1,4 Milliarden Euro eingesammelt. Unmittelbar davor beteiligten sich zudem United Internet und der philippinischen Telekombetreiber PLDT mit jeweils 333 Millionen Euro beziehungsweise 435 Millionen Euro.
Geld wäre noch Geld vorhanden gewesen, aber Rocket wollte sich "finanzielle Flexibilität" sichern, wie es in einer Mitteilung zur Kapitalerhöhung hieß.Knapp 600 Millionen Euro sammelte Rocket schließlich ein.
Aber warum gibt Rocket-Chef Samwer das Geld ausgerechnet für die Auslieferung von Essen aus?
Die Pleiten der Vergangenheit
Wenn man an Essenlieferungen denkt, dann erinnert man sich vor allem an Pappkartons. Vielleicht denkt man auch noch an verklebte Kunststoffschalen, bei denen die Soße leider schon während des Transports ihren Weg nach draußen fand; vielleicht aber auch noch an das schlechte Gewissen, weil man sich schon wieder eine fettige Pizza einverleibte. Ein lukratives Geschäft, das kam einem nicht gerade in den Sinn.
Schon einmal versuchten Unternehmen den Markt für Essenslieferungen zu erobern. Das war während des Dotcom-Booms. Unternehmen wie Webvan oder Homegrocer sammelten von Investoren knapp 400 Millionen Dollar beziehungsweise 440 Millionen Dollar ein. Beide Unternehmen gingen an die Börse, beide verbrannten viel Geld, Webvan übernahm bald Homegrocer und schließlich ging Webvan spektakulär pleite. Bis heute können sich Beobachter nicht entscheiden, ob Webvan oder der Online-Tierzubehörshop Pet.com als schlimmstes Beispiel für die Dotcom-Blase herhalten muss.
"Seit vielen Jahren versuchen Unternehmen diesen Markt zu knacken. Bisher ist es aber noch keinem so richtig gelungen", sagte Stefan Groß-Selbeck, Geschäftsführer von BCG Digital Ventures in Berlin, einer Tochterfirma der Boston Consulting Group. Dass sich die Geschichte noch einmal wiederholt, dass glaubt Groß-Selbeck nicht.
Warum das Geschäft mit Essenslieferungen diesmal funktionieren kann
Es gebe im Wesentlichen drei neue Entwicklungen, die es möglich machten, dass das Geschäft mit Essenslieferung nun funktionieren könne. "Smartphones machen Bestellungen einfacher, über Big Data lassen sich Vorhersagen einfacher treffen und drittens gibt es neue, cleverere Geschäftsmodelle", sagte Groß-Selbeck.
Rocket-Chef Oliver Samwer ist sich sicher, er habe den Markt bereits erobert. Seine Portfolio-Firmen könnten fünf Millionen Stadtviertel in 64 Ländern abdecken. Er glaubt sie könnten Kunden und Restaurants überzeugen, dass sich Bestellungen und Lieferungen über Online-Plattformen besser abwickeln ließen als über Wurfsendungen von Menu-Prospekten. Für die Liefer- beziehungsweise Vermittlerplattformen sei dabei eine operative Marge von 40 Prozent möglich, sagte Samwer seinen Investoren.
Der Manager wettet mit Rocket Internet auf drei Modelle der Essenslieferungen. Die Faktoren Zeit und Bequemlichkeit spielen bei allen drei eine wichtige Rolle.
Über Hello Fresh können Kunden zwischen drei verschiedenen Essensboxen wählen. Das Startup stellt auf Basis von Rezepten eine Box zusammen und liefert die Ware zu bestimmten Zeiten nach Hause. "Hello Fresh" gibt im Prinzip einen standardisierten, aber wechselnden Warenkorb vor.
Die Modelle von Rocket Internet
Auch Amazon will in das Geschäft mit der Lieferung frischer Lebensmitteln einsteigen. Bislang testet der weltgrößte Onlinehändler Amazon Fresh nur in den USA, aber zweifelsohne dürfte das Unternehmen an eine Expansion denken.
Bei Food Panda oder der Beteiligung Delivery Hero sind die Startups die Schnittstelle zwischen Restaurant und Kunden. Über die jeweiligen Plattformen können Nutzer aus verschiedenen Menus vieler Restaurants Bestellungen aufgeben. Die Lieferung per Fahrer übernehmen die jeweiligen Restaurants selbst, Delivery Hero und Co. sind nur Vermittlungsplattformen.
In diesem Bereich ist der Markt derzeit heftig umkämpft. Im Herbst 2014 erhielt Delivery Hero weitere 350 Millionen Dollar Risikokapital. Zuvor hatte das Unternehmen für eine kolportierte dreistellige Millionen-Euro-Summe den Wettbewerber pizza.de übernommen. Das niederländische Unternehmen Takeaway.com übernahm im April 2014 nach einer Kapitalspritze von 103 Millionen US-Dollar das Berliner Unternehmen Lieferando.
Für alle geht es darum die Marktführerschaft zu übernehmen beziehungsweise mindestens guter Zweiter zu werden. "Aktuell ist eine Konzentrationsbewegung im Markt zu beobachten. Das ist ein harter Wettbewerb", hatte Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg manager magazin online nach der Übernahme von pizza.de auf Anfrage mitgeteilt. Anders als Rocket-Chef Samwer relativierte er die zu erwartenden Margen. "Die Marge ist in diesem Markt gering, man braucht also eine gewisse Größe um Skaleneffekte zu haben."
Es kann nur einen geben
Sowohl Östberg als auch Takeaway-Chef Jitse Groen hatten auf Nachfrage von manager magazin online gesagt, dass dieses Geschäft nach dem Prinzip "the winner takes it all" funktioniere. "In großen Ländern können sie zwei Plattformen haben, aber sie müssen in etwa die gleiche Größe haben, andernfalls wird es für die Nummer zwei schwer", sagte Groen im Herbst 2014.
Samwer nahm nun viel Geld in die Hand, damit seine Beteiligungen die Marktführerschaft kaufen beziehungsweise verteidigen können. Delivery Hero und Food Panda ergänzen sich, weil sie in verschiedenen Ländern aktiv sind.
Rockets jüngstes Startup, Eat First, steht noch ganz am Anfang. In der Londoner City gestartet, liefert das Startup mittlerweile auch in Berlin zwei frisch zubereitete Mittag- und Abendessen binnen 15 Minuten für acht Euro aus. Über eine Smartphone App oder die Website können Nutzer ihre Mahlzeiten bestellen. Dieses Modell richtet sich an Berufstätige, die wenig Zeit haben, sich aber dennoch gut ernähren wollen.
Bislang erhielt das Unternehmen fünf Millionen Euro Risikokapital, gerade einmal zehn Prozent davon steuerte Rocket bei. Eine Beteiligung sicherte sich Holtzbrinck Ventures. Der Risikokapitalgeber nennt Eat First auf der eigenen Website bereits als Portfolio-Unternehmen. Über die Höhe des Investments will das Unternehmen keine Auskunft geben.
Für Groß-Selbeck gehört Eat First angesichts der Berechenbarkeit der Bestellungen zu jenen Startups, das sich durchsetzen könnte. "Natürlich sind die Geschäftsmodelle nicht ohne Risiko. Es gibt aber gute Gründe anzunehmen, dass man diesen Markt nun knacken kann", sagte er.