Kameras im Klassenzimmer, Playlists statt Hausaufgaben Ein neues Bildungssystem - wie das Valley Schule machen will

Kinder arbeiten mit dem iPad: Wenn Hausaufgaben Playlists heißen
Foto: DPAAmanda, die Leiterin unserer Grundschule in Palo Alto, hat die Ausdauer von Yahoo-Chefin Marissa Mayer und ein Charisma wie Facebooks Sheryl Sandberg. Seit wir im Sommer Teil ihrer Schulgemeinde wurden, hat sie uns zu etlichen Ansprachen versammelt, in Newslettern mindestens zweimal die Woche über das Neueste auf dem Schulhof informiert und einen Kreativworkshop für Eltern und Kinder abgehalten.
Amanda führt die Schule im Grunde wie ein CEO: Zum Überleben muss sie ihre Geldgeber bei Laune halten. Und die Venture Capitalists, das sind wir, die Eltern.
Bildung ist im Valley eben Geldsache. Die Eltern der Freunde meiner Tochter arbeiten bei Oculus VR oder Palantir, sie denken liberal und schicken ihre Kinder deshalb lieber auf eine öffentliche Schule als auf eine private. Kalifornien hat eigentlich mit die schlechtesten Schulen in ganz Amerika. Aber im Valley wird das Defizit mit dem Scheckbuch wettgemacht.
Vor Weihnachten ist Hauptsaison für Spendeneintreiber
Amanda hat uns zu einem Treffen eingeladen, bei der Eltern "Mitgebrachtes", gern auch mal eine Party in der eigenen Villa, versteigern. "Das hier sind die verrücktesten Schulspendenaktionen, die ich je erlebt habe", flüstert mir eine Mutter aus Michigan zu, ein Neuzugang wie wir.
Amanda macht ihren Job gut: Wir haben Hilfslehrer und iPads, so üppig wie in Deutschland Kreidestummel. Und unsere Schule schneidet landesweit spitze ab.
Die Valley-Elite macht sich daran, ein neues, eigenes Schulsystem zu erschaffen. Es ist eines ganz nach ihrem Abbild. Wir sollten uns damit möglichst früh auseinandersetzen. Denn "disrupt education" könnte bald schon an unserem Kulturverständnis rütteln.
AltSchool: In den Klassenzimmern hängen Kameras und Mikrofone
Eine große Wette für die Wagnisfonds ist das Geschäft schon heute: 1,87 Milliarden US-Dollar wurden 2014 laut den Analysten von CB Insights in Start-ups aus dem Bildungssektor investiert, ein Plus von 55 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und es gibt auch schon so etwas wie das nächste Uber für Bildung: die AltSchool. Ihr Gründer, Max Ventilla, hat früher bei Google gearbeitet.
Geldgeber sind Promi-Wagnisfonds wie Andreessen Horowitz und der Founders Fund, eine Investmentfirma des Paypal-Gründers Peter Thiel. Auch Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat Geld gegeben. Ventilla war früher bei Google dafür zuständig, die Dienste des Konzerns durch Datenlese nach den Vorlieben der Nutzer zu personalisieren.
Und genauso funktioniert auch seine Grundschule. Überall in den Klassenzimmern in San Francisco hängen Kameras und Mikrofone, die den Schultag aufzeichnen. Die Lehrer werten den Unterricht anschließend aus und modeln ihn auf die speziellen Bedürfnisse der Schüler um. Hausaufgaben heißen hier "Playlists", die vom iPad aus erledigt werden. Und es gibt keine Schulnoten, sondern Leistungsdiagramme, die die Eltern per App ablesen.
Ein neues Bildungssystem: DAS nächste große Ding für die Tech-Elite?
Nach San Francisco und New York wird demnächst in Chicago eine neue AltSchool eröffnet. Als Ex-Googler weiß Ventilla, dass es auf Skaleneffekte ankommt: Er will die AltSchool-Software auch anderen Schulen verkaufen. Sein Baby soll zum "Betriebssystem für Schulen des 21. Jahrhunderts" heranwachsen.
Noch sind das alles Experimente. Aber die Tech-Elite ist einflussreich, politisch zunehmend versiert, und sie hat das Geld, das im staatlichen System fehlt. Etliche Gründer, die ich auf dem Stanford-Campus kennen - gelernt habe, sehen im kaputten Bildungssystem der USA ihre Chance, DAS nächste große Ding für die Welt zu erfinden.
Die Frage ist: Wie sollten wir Europäer uns darauf vorbereiten? Ich denke, Programmierunterricht gehört längst ins Klassenzimmer und auf die Agenda jedes Bildungspolitikers. Abwägen sollten wir allerdings, ob wir unser gesamtes Kulturverständnis auseinanderpflücken lassen.
Denn nicht alles folgt dem Prinzip Null oder Eins. Die Interpretation eines Romans etwa lässt sich nicht einfach so in einem Google Spreadsheet darstellen. Wird er damit weniger relevant? Und in der AltSchool gibt es 3-D-Drucker, aber schon keinen Sportunterricht mehr, genauso wenig wie im Stundenplan meiner Tochter.
Mit Leibesübungen haben es die Techies nicht so. Amanda weiß eben, worauf ihre Geldgeber Wert legen.
Astrid Maier, Tech-Editor des manager magazins, besucht bis zum Sommer als Stipendiatin die Stanford University. Ihre letzte Kolumne "Not macht erfinderisch, mehr denn je" aus dem Silicon Valley finden Sie im Juli-Heft.