Recommerce boomt Warum gebraucht plötzlich sexy ist

Secondhand ist in: Kleid aus der Kollektion des Weimarer Labels Vilde Svaner

Secondhand ist in: Kleid aus der Kollektion des Weimarer Labels Vilde Svaner

Foto: Nina Röder/ picture alliance / dpa

Es war einmal wieder ein kollektiver Aufschrei mit Ansage. Als vor einigen Monaten das ZDF-Magazins Frontal 21 zusammen mit der "Wirtschaftswoche" über die Vernichtung von Neuware  beim Versandhändler Amazon für zehntausende Euro täglich berichtete, ging eine Welle der Empörung durchs Land. Von einem riesengroßen Skandal sprachen Politiker - und unverantwortlichem Verhalten, das nicht in die Zeit passe.

So fragwürdig die im Handel weit verbreiteten Retourenzerstörung ist, so wenig schien das Thema Nachhaltigkeit viele Verbraucher lange zu interessieren, wenn es um ihr persönliches Einkaufsverhalten ging.

So hat sich die Bekleidungsproduktion zwischen den Jahren 2000 und 2014 nach Angaben von Greenpeace  verdoppelt. Ganze 60 Kleidungsstücke kaufen sich deutsche Verbraucher demnach pro Jahr.

Und auch bei der Tragedauer hat der Fast-Fashion-Trend mit teilweise 24 Kollektionen im Jahr Spuren hinterlassen: Mittlerweile wird die Kleidung nur noch halb so lange getragen wie noch vor 15 Jahren . Spätestens nach drei Jahren werden mehr als die Hälfte der Oberteile, Hosen und Schuhe ausgemustert, wie eine repräsentative Greenpeace-Umfrage 2015 ergab. Jedes fünfte gekaufte Kleidungsstück - rund eine Milliarde Stücke in Deutschland - wird nie getragen. Eine weitere Milliarde kommt weniger als drei Monate zum Einsatz.

Wo Billigkleidermassen schon Probleme machen

Ein Kleiderberg, der angesichts der schieren Masse und teils schlechten Qualität mittlerweile sogar Probleme bereitet. Weil die Altkleidernachfrage im Inland längst übererfüllt ist, viele Teile Experten zufolge schon nach einigen Waschungen nicht mehr tragbar sind und einige afrikanische Länder den Import von Altkleidern mittlerweile verbieten, "ertrinken" die Altkleiderhändler aktuell in Klamotten. Und denken mittlerweile sogar über Entsorgungsgebühren nach.

Für die noch gut erhaltenen, wertvollen Stücke ist indes - neben klassischen Altkleiderabnehmern wie dem Roten Kreuz oder Oxfam - ein stetig wachsender Markt im Internet entstanden.

Start-ups wie Rebelle, Kleiderkreisel, Mädchenflohmarkt oder die bereits 2004 gegründete deutsche Plattform Momox  kaufen den Kunden entweder ihre gebrauchte Kleidung ab und verkaufen diese weiter. Oder ermöglichen ihnen über Marktplätze, ihre ausgemusterten Klamotten zu Verkauf anzubieten.

Größter Akteur in Deutschland ist hier das bereits 2004 gegründete Momox, das zunächst als Bücher-Ankaufsplattform gestartet war, sein Geschäft dann aber auf den deutlich lukrativeren Kleidungsmarkt ausgeweitet hat.

Die 1300 Mitarbeiter des Unternehmens sortieren jeden Monat bis zu einer viertel Million Artikel, die dann hauptsächlich auf eigenen Seiten wie medimops (Bücher) oder ubup.com (Mode) weiterverkauft werden. 25 Millionen Euro Umsatz machte Momox damit nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr alleine im Modesegment. Tendenz steigend. Alleine im laufenden Jahr hat das Wachstum laut Momox um mehr als 70 Prozent zugelegt.

Doch angesichts des Trends zu mehr Nachhaltigkeit - und des Bedürfnisses vieler Kunden, Überflüssiges wieder los zu werden, steigen immer mehr auch Große Konzerne in den Handel mit Altkleidern- oder -möbeln ein. Oder entwickeln Konzepte, wie Kunden einmal gekaufte Ware über das Unternehmen wiederweiterverkaufen können.

Warum Ikea jetzt Gebrauchtmöbel ankauft ....

Einer der aktuellsten Neuzugänge im Recommerce ist Ikea Deutschland. Vom 1. September an können Kunden - zunächst in fünf Pilothäusern - Ware in "einwandfreien bis gutem Zustand" zurückbringen und dafür bis zu 60 Prozent des Einkaufspreises in Warengutscheinen erhalten.

Die Idee, alte Möbel wieder zurückzukaufen sei nach einer Umfrage unter Ikea-Family-Kunden entstanden, erzählt Ikea-Schweiz Sprecher Aurel Hosennen, wo das Rückkauf Programm bereits seit längerem läuft und nun ausgeweitet werden soll.

Jeder hat im Schnitt ein bis zwei ungenutzte Tische zu Hause stehen

Da habe sich gezeigt dass in den meisten Haushalten ein bis zwei ungenutzte Tische im Keller und Dachboden herumstehen und 3 Stühle. Möbel, die zu schade zum wegwerfen sind und nur Platz verbrauchten aber auch nicht wirklich genutzt werden.

Sind sie gut erhalten, können Kunden deren Wert künftig über die Webseite von Ikea ermitteln lassen, bei dem Möbelriesen abliefern, der das Möbelstück dann ohne Preisaufschlag , nur zusätzlich Mehrwertsteuer, in seinen Schnäppchenabteilen namens "Fundgrube" weiterverkauft. Man wolle damit kein Geld verdienen, heißt es bei Ikea. Angesichts der Tatsache, dass die Möbelbesitzer in Warengutscheinen ausbezahlt werden und durch das Angebot in die Läden gelockt, dürfte sich der Recommerce-Vorstoß durchaus für Ikea lohnen.

In der Schweiz ist das Angebot der dortigen Pressestelle zufolge auf Begeisterung gestoßen. Gleich mehrere Tausend Möbelstücke dürften dort bis zum Jahresende den Besitzer gewechselt haben, heißt es.

... und Zalando in die Schränke seiner Kunden schauen möchte

Auch Zalando streckt aktuell seine Fühler ins Recommerce-Geschäft aus. Im Mai startete der Modehändler seine App "Wardrobe" über die Nutzer ihre gebrauchte Kleidungsstücke an andere Nutzer oder Zalando selbst zurückverkaufen können. Entweder kann man seine Kleidung für einen Wunschpreis in einen Marktplatz auf der App einstellen oder zu einem Festpreis an Zalando verkaufen. Die Klamotten verkauft der Onlinehändler dann nach eigenen Angaben "über Online- sowie Offline-Kanäle in ganz Europa".

Wie auch bei Ikea dürfte es Zalando hier auch sehr stark um die Kundenbindung gehen - und darum, das Potenzial bei den Bestandskunden weiter auszuschöpfen. Denn neben der Möglichkeit, ausgemüsterte Schätze zu verkaufen, verfügt die App über eine Community-Funktion: Über diese können Nutzer in "öffentlichen" Schränken anderer Nutzer stöbern, eigene Styles zeigen. Und Zalando kann, maßgeschneidert auf den Stil des jeweiligen Kunden, passende Kleidungsstücke zum Kauf anbieten - also nicht nur noch mehr über die Präferenzen der Kunden lernen, sondern dieses Wissen auch zu Geld machen.

Wissen, das künftig sehr wichtig werden könnte. Denn auch wenn sich jeder Bundesbürger im Jahr im Durchschnitt 60 neue Kleidungsstücke kauft und Onlinehändler wie Zalando ihre Umsätze zuletzt deutlich steigern konnten.

Warum Investoren im Preloved-Segment von Milliardenwachstum träumen

Ein Wachstumsmarkt ist die Neu-Bekleidungsbranche hierzulande nicht mehr. Der Anteil an den Haushaltsausgaben, die die Bundesbürger für Klamotten ausgeben, sinkt seit Jahren . Gaben die deutschen Privathaushalte bis 2012 noch 4,6 Prozemt ihrer Konsumausgaben für Bekleidung und Schuhe aus, ging der Wert in den Folgejahren kontinuierlich auf zuletzt 4 Prozent 2016 oder 108 Euro pro Monat zurück.

Anders sieht es im sogenannten "Preloved"-Segment aus, bei der Secondhand-Kleidung. Hier wittern Investoren einen Wachstumsmarkt, der Schätzungen zufolge von aktuell 18 Milliarden Dollar bis 2022 auf 41 Milliarden Dollar anziehen soll. So hofft es zumindest das US-Recommerce-Unterenehmen Thredup, das mit dem Resale-Report  einen jährlichen Branchenreport herausgibt.

Jede dritte Frau in den USA - rund 44 Millionen - hat demnach im vergangenen Jahr bei Secondhand-Stücken zugeschlagen. 2016 waren es noch 35 Millionen, heißt es. Bis zu 40 Prozent eines Kleiderschrankes könnte bis 2022 aus so genannter Preloved-Fashion bestehen, schreibt das US-Branchenportal "Womens Wear Daily.

Zahlen die längst auch Investoren wie Goldman Sachs oder den Singapurischen Staatsfonds Temasek angelockt haben, die hohe Millionenbeträge in Start-ups wie Thredup oder Poshmark investiert haben.

Es sind es vor allem junge Leute, die sich immer stärker auch für edlere Vintage-Stücke interessieren. Neben dem Nachhaltigkeitsaspekt können sie, indem sie gebrauchte Kleidung kaufen, ihren modischen Spielraum erweitern und modische Individualität zeigen. Und das ohne dafür den entsprechenden Neupreis zu bezahlen.

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