Fantastische Unternehmenswerte im Silicon Valley Stößt der Start-up-Hype an seine Grenzen?

Ist der Unicorn-Hype kurz vor dem Platzen?
Foto: Britta Pedersen/ dpa
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Die Rekordmeldungen im Silicon Valley scheinen nicht abzureißen. Jahr für Jahr pumpen Investoren immer mehr Geld in Start-ups. Zunehmend steigen die Tech-Unternehmen zu Unicorns auf, werden also mit mindestens einer Milliarde Dollar bewertet. Außerdem sammeln die Fonds bedeutende Summen für ihre Investitionen ein.
Der Trend aber könnte bald empfindlich gedämpft werden. Gerade im Silicon Valley bekommt die Branche derzeit einen Vorgeschmack auf ein abkühlendes Investmentklima. Vor wenigen Tagen schloss das Essensliefer-Start-up Munchery, in das 125 Millionen US-Dollar geflossen waren. Elon Musks Raumfahrtfirma SpaceX kündigte eine Entlassungswelle an und der japanische Tech-Riese SoftBank zog ein 16-Milliarden-Investment in den Co-Working-Anbieter WeWork zurück. Die E-Scooter-Firmen Lime und Bird müssen wohl klar niedrigere Bewertungen hinnehmen als geplant; Ford stellte seinen Ride-Sharing-Anbieter Chariot gleich ganz ein. "Eine Spritze Realismus" für den hemmungslosen Optimismus der Branche, sagte Investor Sunny Dhillon zum "Wall Street Journal " (WSJ).
Wagniskapitalgeber haben mit viel Kapital in den vergangenen Jahren großes Wachstum der Start-ups befeuert und dabei hohe Verluste in Kauf genommen. Die Logik: The winner takes it all. Wird das Unternehmen nur schnell groß genug, setzt es sich gegen andere Wettbewerber durch und wird das nächste große Ding.
Wenn Investmentgelder knapper werden, wird sich allerdings erst zeigen, welche der Geschäftsmodelle sich überhaupt tragen können. Ein Problem für viele Start-ups dürfte die verschwenderische Kultur sein, mit der sie Mitarbeiter ködern. Schicke Büros, teure Partyreisen und ausgesuchtes Gratis-Essen rund um die Uhr sind in vielen Jungunternehmen im Silicon Valley nicht weniger als Standard.
Investoren befürchten, ausgetrickst zu werden
Doch Geldgeber scheinen nicht mehr sämtliche Prassereien durchfinanzieren zu wollen. Dass sich die Haltung ändere, bestätigte auch Investor Josh Wolfe dem "WSJ": Die Angst, etwas zu verpassen ("Fear of missing out"), weiche der Angst, hereingelegt zu werden.
Den Druck spüren selbst renommierte Persönlichkeiten im Valley. So bemüht sich Alex Karp - Chef der Datenanalysefirma Palantir - um einen Kulturwechsel in seinem Unternehmen. Seine Mitarbeiter gelten als herablassend gegenüber Kunden und als verwöhnt. Bei Palantir soll es dreizehngängige Lunch-Menüs mit Hummer und Sashimi gegeben haben. Im letzten Moment noch Business-Class-Flüge zu buchen, sei ebenfalls üblich gewesen, so das "WSJ ". Dabei hat Palantir in den 14 Jahren seines Bestehens noch nie Gewinn geschrieben. Etwas, dass Karp jetzt eilig ändern will - auch, um es bald profitabel an die Börse zu schaffen.
Muss nun auch Europa zittern?
Tech-Börsengänge erwartet die "Financial Times " jetzt eher früher als später - solange es noch Investoren gibt, die Appetit auf die hoch bewerteten Milliarden-Deals von Unternehmen wie Uber und Airbnb haben.
Die Zeitung zieht Parallelen zum Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000: "Heute wie damals sind wir in den späten Phasen eines Kreditzyklus', wo zu viel Geld zu wenig Wert jagt." Investoren würden aktuell ebenso wie Ende der 90er auf eine Flut heißer Börsengänge setzen. Die Märkte seien aber eindeutig übermäßig aufgebläht. Und: Dieses Jahr werde das aktuelle Finanzierungsmodell der Tech-Firmen einem dringend nötigen Test unterzogen.
Einen weiteren Hinweis für einen Realitycheck der Branche sieht das "WSJ " in den sinkenden Seed-Deals, den frühen Investitionen in noch junge Start-ups. Seit drei Jahren geht die Zahl im Silicon Valley bereits zurück: von 1500 auf 882 im vierten Quartal 2018, wie eine Auswertung der Analysefirma PitchBook zeigt. Grund dafür sei unter anderem die Entwicklung der Tech-Börsenwerte, an der sich Venture Capitalists (VCs) traditionellerweise orientierten. Seit dem Hoch vergangenen August haben sie 13 Prozent verloren.
Europas Abhängigkeit
Bis das Ausmaß der Abkühlung völlig klar sei, könne allerdings noch Zeit vergehen. Verhandlungen über Beteiligungen dauerten üblicherweise mehrere Monate. Außerdem sei in den USA im vergangenen Jahr eine Rekordsumme in Start-ups geflossen, die wacklige Geschäftsmodelle noch eine Weile stützen könnte.
Muss nun auch Europa zittern? Tatsächlich bietet sich ein ähnliches Bild. Eine Rekordinvestmentsumme maskiert, dass seit 2015 die Beteiligungen an sehr jungen Start-ups laut PitchBook um 59 Prozent gesunken sind. Der Tech-Aktienindex TecDax hat seit seinem Hoch Ende August ebenfalls 13 Prozent verloren, in einem allerdings insgesamt schwachen Börsenumfeld.
Zudem ist die Tech-Branche in Europa abhängig von den Entwicklungen in den USA. Noch profitiert sie dabei vom erhitzten Klima im Silicon Valley: Die hohen Start-up-Bewertungen dort treiben Tech-Investoren ins Ausland. Sie beteiligten sich 2018 an 20 Prozent aller Deals in Europa, während der Schnitt in den Jahren zuvor bei 11 bis 14 Prozent lag. Auch zahlten amerikanische VCs laut PitchBook vergangenes Jahr mehr als 41 Prozent des Kapitals, das in die DACH-Region floss (Deutschland, Österreich und die Schweiz). Umso empfindlicher dürfte ein Abzug des Kapitals die Unternehmen treffen.
"Es ist heute für Gründer viel einfacher, an Geld zu kommen", sagt Yair Snir, Chef des Konzern-Investmentarms Dell Technologies Capital, über die Lage in Europa. "Das Gleiche gilt für Investoren und ihre Fonds. Deswegen müssen sie viel mehr Kapital verteilen. Das führt zu mehr Chancen für Gründer."
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Snir sieht allerdings auch eine Kehrseite in dem Hype: die steigenden Bewertungen der Start-ups in Europa. Nicht nur würden sie M&A-Deals immer schwieriger machen. "Das Einhorn ist eine neue Währung. Und eine neue Währung ist das beste Anzeichen dafür, dass Geld aufgebläht wird."
Bewertungen würden künftig wieder sinken, glaubt Snir. Zudem habe das viele Kapital auch zur Folge, dass es mehr Firmen gebe, die nie gegründet und finanziert hätten werden sollen. "Noch leben wir den Traum", so Snir. "Aber wir werden sehen, dass ein bedeutender Teil des investierten Geldes zum Fenster herausgeschmissen sein wird."