Mein Leben im Silicon Valley Die hohe Kunst des Scheiterns

Der Kult ums Verlieren nimmt in Stanford geradezu groteske Züge an. Aber die Ökonomie dahinter stimmt.
Von Astrid Maier
Netflix-CEO Reed Hastings: Im Wettlauf um das nächste große Ding kann meist nur einer gewinnen

Netflix-CEO Reed Hastings: Im Wettlauf um das nächste große Ding kann meist nur einer gewinnen

Foto: STEVE MARCUS/ REUTERS

Neulich auf einer Podiumsdiskussion in Stanford: Auf der Bühne sitzen Alumni wie Reed Hastings, der Netflix-CEO, und Mike Krieger, Mitgründer von Instagram. Der Moderator heißt Ron Johnson, Stanford-Abschlussjahrgang 1980 und besser bekannt als Erfinder der Apple Stores. "Gründer zelebrieren", lautet das Motto, denn Stanford wird in diesem Jahr 125 Jahre alt. Kaum läuft aber die Diskussion, geht es schon um ein anderes Thema: das Scheitern.

Denn mit dem Scheitern nehmen sie es ernst im Valley. 39.000 Unternehmen hat allein Stanford seit den 30er Jahren hervorgebracht, darunter Giganten wie Cisco  oder Google . Und doch wird ums Verlieren ein Kult gemacht, als gäbe es keine Gewinner. Auf FailCon, einer Konferenz, erzählt man sich sogar die eindringlichsten Geschichten vom Scheitern. Travis Kalanick, der Uber-CEO, war schon Gast.

Lange hielt ich das Ganze für eine Marotte. Bis ich begriff, warum ausgerechnet die Scheiterer gebraucht werden, damit die Valley-Ökonomie als Ganze überhaupt funktioniert - und warum wir Deutsche uns nur bedingt etwas davon abschauen können.

Schon immer hatten hier Computerspezialisten das Sagen, nicht die Finanzer: "Programmieren basiert auf dem Prinzip Testen und Scheitern. Wer kein Risiko eingeht, macht keine Fortschritte", sagt Dave Packman, Investor beim Wagniskapitalunternehmen Venrock. Längst hat die Techie-Denke auf alles und jeden ab gefärbt. Für Gründer gilt: fail fast! Will heißen: Eine Idee soll lieber schnell als ausgereift an den Start. Funktioniert sie nicht, wird sie eben schleunigst abgewandelt. Oder man springt gleich zur nächsten weiter. Nur keine Zeit verlieren! Das Netflix  von heute kann angesichts der sich rasend schnell entwickelnden Technologie schließlich das MTV von morgen sein.

Im Wettlauf um das nächste große Ding kann ohnehin meist nur einer gewinnen. Denn dank Smartphones werden im digitalen Geschäft die Netzwerkeffekte größer. Auf ein einträgliches Business kommt nur, wer alle Nutzer an sich reißt. Die anderen, die mit an den Start gehen, sind das Kanonenfutter, das nötig ist, um einen neuen Markt - wie jetzt den für Autobestell-Apps - überhaupt erst aufzubauen.

Dass viele auf der Strecke bleiben müssen, damit Uber groß rauskommt, ist in Zeiten dieser Plattformökonomie Common Sense. Vom Erfolg des Stärksten profitieren viele, wenn auch indirekt. So wie vom Twitter- IPO, der viele zu Millionären machte. Er brachte neues Geld zum Investieren auf den Markt und damit neue Chancen für alle, bei der nächsten Wette selbst vorn mit dabei zu sein. Auf den nächsten Versuch kommt es an.

Auch bei den Geldgebern regiert das Prinzip Trial and Error: "Die Kosten des Scheiterns sind viel geringer als die Opportunitätskosten, es nicht versucht zu haben", sagt ein Frühphaseninvestor. Wer auf das richtige Team setzt, kann im Valley dank des großen Marktes Gewinne einstreichen wie nirgendwo sonst im Start-up-Geschäft. Allein, eine Garantie für den Erfolg, die gibt es nicht.

Denn für die meisten ist das Valley ein Tal der Verlierer. Wagnisgeldgeber investieren in nur ein Prozent aller Start-ups, die bei ihnen vorsprechen. Und selbst von denen, die Geldgeber überzeugen, gehen die meisten laut Analysen von CB Insights nach durchschnittlich 20 Monaten wieder zugrunde und nehmen im Schnitt 1,3 Millionen Dollar Finanzierung mit ins Grab.

Damit aber der Mythos lebt, der Geld und Gründer aus aller Welt anzieht, der Nährboden also fruchtbar bleibt, auf dem in den nächsten Jahrzehnten Unternehmen gedeihen können, hilft nur eins: Das Scheitern wird zur wichtigsten Kunstfertigkeit erhoben, der Verlierer zum härteren Gewinner stilisiert. Und das schafft jeder! Der Rat, wir Deutschen müssten schleunigst lernen zu scheitern, ist deshalb nur bedingt tauglich: Wo weniger Geld, weniger Ideen und ein viel kleinerer Markt vorhanden sind, stehen insgesamt geringere Gewinne für alle in Aussicht. Das Scheitern lohnt nicht.

Was wir vom Valley lernen können, ist, wie man Geschwindigkeit im digitalen Zeitalter aufnimmt. Das heißt manchmal nur: den deutschen Perfektionismus ein wenig auf Digitalmaßstab zu stutzen.

Astrid Maier, Tech-Editor des manager magazins, besucht bis zum Sommer als Stipendiatin die Stanford University. Ihre letzte Kolumne "Not macht erfinderisch, mehr denn je" aus dem Silicon Valley finden Sie im Juli-Heft.

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