StudiVZ-Gründer Dariani über die deutsche Gründerszene "Es wird viel geschwindelt"

StudiVZ-Gründer Ehssan Dariani: "Es gibt Übertreibungen, aber auch viel Substanz"
Foto: Harry SchnitgerEhssan Dariani empfängt in den Büros des Start-ups "Cookies" in Berlin-Mitte - seiner neuesten Investition. 25 junge Leute arbeiten hier an einer App, mit der Nutzer Geld in Echtzeit über ihr Smartphone verschicken können. Anfang 2016 soll es losgehen, bald startet der Betatest. Die Gründer Garry Krugljakow und Lamine Cheloufi kommen vom Start-up "Number26", das ein digitales Girokonto anbietet und in der boomenden Fintech-Szene (Finanzdienstleistungen) als Hoffnungsträger gilt.
Cookies gab am Dienstag bekannt, in einer ersten Finanzierungsrunde (Seed) 1,5 Millionen Euro eingesammelt zu haben. Hauptinvestor ist demnach ein vom Holtzbrinck Verlag aufgelegter Beteiligungsfonds - ein alter Bekannter Darianis. Der Verlag kaufte ihm und seinen damaligen Partnern 2007 für 85 Millionen Euro das soziale Netzwerk "StudiVZ" ab, das damals in Deutschland erfolgreicher war als Facebook . Bald darauf verließ Dariani das Unternehmen im Streit. Der Preis seiner Anteile soll rund 10 Millionen Euro betragen haben. Der Volkswirt mit iranischen Wurzeln gilt als exzentrisch und hat sich in der Gründerszene mit bissigen Kommentaren einige Feinde gemacht.
mm: Herr Dariani, seit dem Verkauf von StudiVZ haben Sie finanziell ausgesorgt. Arbeiten Sie eigentlich noch?
Dariani: Klar, in den letzten Monaten war ich zum Beispiel oft hier bei Cookies. Ich schaue dann, was ich für die Jungs tun kann. Ich habe sie zum Beispiel im Rahmen der Finanzierungsrunde unterstützt oder auch beim Recruiting. Ich will, dass die richtigen Leute hier reinkommen und setzte mich deshalb manchmal mit in die Jobinterviews. Ansonsten schaue ich nach neuen Start-ups, die interessant sein könnten. Besser gesagt, junge Gründer kommen meist auf mich zu.
mm: Also sind Sie jetzt Investor und Start-up-Mentor?
Dariani: Ja, aber auch Redner - zu Themen, die keinen geschäftlichen Bezug haben. Ich war neulich beim Auswärtigen Amt eingeladen, um vor jungen Diplomaten über die Technologiegesellschaft im Nahen Osten zu referieren, die sich rasant entwickelt. Solche Termine will ich künftig öfter wahrnehmen. Wissen Sie, eigentlich sehe ich mich nicht als Geschäftsmann. Geschäftsmann war ich, um das Geld zu verdienen, das mir meine heutige Freiheit ermöglicht.
mm: Dafür sind Sie aber noch sehr aktiv. Sie sind zum Beispiel am Online-Brillenshop "Mr. Spex" beteiligt, in den Anfang des Jahres auch Goldman Sachs investierte.
Dariani: Ich bin bei fast allen Finanzierungsrunden mitgegangen, dieses Jahr mit einem sechsstelligen Betrag. Das ist ein super Team mit idealer Positionierung im Markt. Wenn ich von einem Team überzeugt bin, bleibe ich langfristig dabei. Auch bei Brands4Friends war ich als Gründungsinvestor dabei, mit denen ich übrigens meinen zweitbesten Exit nach StudiVZ hatte.
mm: Und jetzt soll Cookies das nächste große Ding werden? Gibt es nicht schon genug Überweisungs-Apps wie zum Beispiel "Cringle"?
Dariani: Cookies hat die durchdachtere Technologie, aber da möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht ins Detail gehen. Das Interface ist extrem intuitiv und sauber. Die Gründer sind sehr erfahren und talentiert, sie wissen was sie tun. Oft versuchen sich Gründer in Geschäftsbereichen, in denen sie nicht die nötige Expertise mitbringen, sondern weil sie gerade hip sind - das ist hier anders, deswegen bin ich als Gründungsinvestor dabei.
mm: Wenn Sie das sagen. Und das Geschäftsmodell?
Dariani: Stellen Sie sich vor, Sie leihen sich beim Ausgehen 50 Euro von Freunden, weil Sie kein Bargeld mehr haben und der nächste Geldautomat weit weg ist. Mit Cookies können Sie ihnen das geliehene Geld sofort zurück überweisen, das kostet Sie nur 10 Sekunden.
"Es gibt Übertreibungen, aber auch viel Substanz"
mm: So verdienen Sie aber kein Geld, die Überweisungen sollen doch kostenlos sein.
Dariani: Es gibt viele Möglichkeiten zu monetarisieren, zum Beispiel über Gebühren für internationale Überweisungen. Ich vertraue den Gründern, sie arbeiten an vielen Modellen und geben diese zu gegebener Zeit bekannt. Aber klar, anfangs ist das Modell von Wagniskapital getrieben, um eine kritische Masse an Nutzern aufzubauen.
mm: Manche sprechen angesichts der sich oft ähnelnden Fintech-Start-ups, die mit immer mehr Geld überschüttet werden, schon von einer Blase. Kommen Sie nicht zu spät?
Dariani: Sicher gibt es Übertreibungen, aber eben auch viel Substanz. Es gibt nicht nur einen Fintech-, sondern einen generellen Start-up-Hype. Da ist schon was dran. Kürzlich traf ich einen Londoner Wagniskapitalgeber, der seine Investments heruntergefahren hat, weil immer mehr reiche Privatleute ihr Geld völlig blind in Start-ups stecken, in der Hoffnung, am nächsten Facebook beteiligt zu sein. Teilweise gibt es deshalb Bewertungen, die nicht mehr rational sind. Es gibt zu viele Leute, die Geld, aber keine Ahnung von Tech-Start-ups haben.
mm: Also doch eine Blase.
Dariani: Partiell. Aber das gehört zum Marktgeschehen. Nach einer Ernüchterung wird man wieder leichter sehen können, wo die reale Substanz an Talenten und Modellen ist. Die Risikowahrnehmung hat sich geändert, aber die individuelle Risikoaversion ist konstant geblieben. Die Gewinne erscheinen jetzt höher. Zu meinen StudiVZ-Zeiten hatte ich zum Beispiel versucht, in St. Gallen - wo ich studiert hatte - Mitarbeiter anzuwerben. Das ist jetzt zehn Jahre her.
Damals wollte kein einziger der dortigen BWL-Studenten nach Berlin kommen. Heute ist das ganz anders. Die Leute aus St. Gallen oder der WHU laufen hier überall rum, in der Erwartung, sie könnten risikolos richtig Geld verdienen. Es sind die hohen Exits und Finanzierungsrunden, die nun selbst die konservativen Karrieristen anziehen.
"Bei Rocket Internet hätte ich nicht investiert"
mm: Ein Hype-Symptom.
Dariani: Naja, der Tech-Sektor wächst ja wirklich, wir erleben eine technologische Evolution, die sich exponentiell entwickelt. Aber dennoch kann es Übertreibungen geben, zum Beispiel bei den vielen sogenannten Unicorns, die es mittlerweile gibt (Anm. d. Red.: Start-ups mit Bewertungen jenseits von einer Milliarde US-Dollar). Diese Bewertungen sind oft konstruiert, beispielsweise um PR zu generieren oder mit scheinbar wertvollen Anteilen Talente zu bezahlen. Aber die hohen Summen sind häufig nicht erdgebunden, sondern hochspekulativ. Da sollte auch die Presse kritischer sein.
mm: Können Sie ein Beispiel geben?
Dariani: Es gibt da so einige, aber ich hatte mir vorgenommen, diplomatischer zu sein. Ok, wenn Sie so wollen: Bei Rocket Internet hätte ich zum Beispiel nicht investiert. Deren Vorgehen macht für die Gründer natürlich Sinn, da lässt sich sehr viel Geld verdienen. Aber als Anleger wäre ich vorsichtig. Theoretisch kann das Rocket-Modell zwar langfristig funktionieren, aber mir ist das zu wolkig.
mm: Neigt die Szene nicht allgemein zu übertriebenen Versprechungen?
Dariani: Es wird viel geschwindelt. Zum Beispiel wenn Gründer die Anzahl der App-Downloads mit der Kundenzahl gleichsetzen. Ein Offline-Laden würde ja auch nicht jeden als Kunden zählen, nur weil er kurz ins Geschäft hinein und wieder herausgelaufen ist. Oder dieses Aufbauschen von Finanzierungsrunden oder Kreditlinien, die wie ein richtiges Investment verkauft werden. Lustig ist es auch, wenn Start-ups mit Star-Investoren wie Peter Thiel werben. Der prangt dann als Posterboy auf der Website, dabei sagt das gar nichts aus.
mm: Sie meinen etwa Number26, EyeEm oder Kreditech, an denen sich Thiel in diesem Jahr beteiligt hat.
Dariani: Ich will keine Namen nennen. Aber das ist schon amüsant. Manche der Büros haben die Starinvestoren nie betreten, mit keinem der Gründer direkt gesprochen. Die Investments machen autonome Manager, die bei dutzenden Fonds arbeiten, die ihre Star-Namen benutzen dürfen. Der Name ist eine Marke, aber die Person hat damit nur noch wenig zu tun. Die Fonds können natürlich trotzdem sehr gut sein.
mm: Ein Teil des Problems liegt auch bei uns Medien: Bekannte Namen und große Summen verkaufen sich einfach besser.
Dariani: Ich würde mir mehr Substanz wünschen. Neben den Medien sind vor allem die Gründer, Investoren und Aufsichtsräte in der Verantwortung, aufrichtiger zu sein. Sie sollten nicht immer alles so aufblasen, sondern mit Performance überzeugen. Werbung muss zugegebenermaßen sein, aber in einem gesunden Verhältnis zur eigentlichen Substanz. 10 Prozent PR, 90 Prozent Substanz - das fände ich legitim.
mm: Wir werden bei Cookies darauf zurückkommen. Sie sollen StudiVZ damals im Streit mit Holtzbrinck verlassen haben. Nun investieren Sie gemeinsam. Haben Sie sich wieder vertragen?
Dariani: Zum einen hat Holtzbrinck Ventures in Cookies investiert, nicht der Verlag. Zum anderen macht ein gutes Verhältnis für alle Seiten Sinn. Wir sind in einer kleinen Branche mit vielen Schnittmengen aufeinander angewiesen. Es beweist Größe, wenn man nach einem Streit wieder souverän miteinander essen, arbeiten und Spaß haben kann.