Compuware-Chef Bob Paul Werbung im Auto wird kommen

Display im Kfz: Baustein der Strategie hin zum vernetzten Auto
Foto: Continentalmm: Herr Paul, Sie waren gerade in Deutschland, wo Sie viele Kunden, also vor allem CIOs, getroffen haben. Ging es da oft um Ausspähprogramme wie Prism, Tempora und Muscular?
Paul: Ja, Cybersicherheit ist ein Kernthema für viele unserer Kunden, die ja oft eine eigene digitale Strategie verfolgen.
mm: In Deutschland wird derzeit ernsthaft erwogen, eine Art deutsches Internet zu schaffen, das nicht nur US-Server, sondern auch nicht-europäische Netzknoten umgeht. Machen sich die Bedenken in Deutschland, aber auch Europa, wo Sie immerhin rund 35 Prozent Ihrer Umsätze erwirtschaften, schon in den Geschäftsabschlüssen bemerkbar?
Paul: Nein, das tun sie nicht.
mm: Sie waren CEO von Covisint, einer cloudbasierten Collaboration-Plattform, bevor Sie 2004 zu Compuware gestoßen sind. Heute ist Covisint eine Ihrer Wachstumssäulen und auch börsennotiert. Wie verändern solche Cloud-Plattformen die Wirtschaft?
Paul: Covisint erlaubt es Unternehmen aus dem Automobilbau, dem Gesundheitssektor oder auch Bankwesen, Informationen mit anderen Unternehmen zu teilen. Das können Lagerbestände, Materialverfügbarkeiten, Finanz- oder Patientendaten sein. So können sie Probleme lösen, die sie vorher nicht lösen konnten oder auch neue Dienste für ihre Kunden anbieten.
mm: Zum Beispiel?
Paul: Wir haben Kunden, die unsere Systeme in der Krankenversorgung nutzen, um Gesundheitsdaten auszutauschen. Das senkt die Kosten, weil zum Beispiel Tests nicht stets wiederholt werden müssen. Das verbessert gleichzeitig auch die Qualität, weil ein Arzt beispielsweise einen besseren Überblick über den Gesundheitszustand und die Krankengeschichte eines Patienten hat. In Deutschland nutzen zum Beispiel einige Automobilbauer unsere Systeme, um sich mit ihren Zulieferern über verschiedene Anwendungen hinweg auszutauschen.
mm: Profitieren Sie vom Trend hin zum vernetzten Auto?
Paul: Die Informationstechnologie wird einen radikalen Einfluss auf die Automobilindustrie haben. Und wir sind ein Baustein dieser Strategie hin zum vernetzten Auto für viele Hersteller. Stellen Sie sich das Auto wie ein weiteres mobiles Gerät vor. Wir helfen dabei, die Präferenzen des Fahrers abzubilden.
mm: Viele IT-Unternehmen versuchen derzeit einen Fuß in die Tür der vernetzten Autos zu bekommen. Wird das Ihrer Ansicht nach klassische Zulieferer oder gar die Automobilhersteller wie Daimler, BMW oder Volkswagen selber schwächen?
Paul: Ich glaube, die klassischen Hersteller gehen eher gestärkt aus diesem Wandel hervor. Es gibt aber Möglichkeiten für IT-Unternehmen, an Präsenz zu gewinnen. Das sieht man ja schon in anderen Branchen. Nehmen Sie Apple, die vor ein paar Jahren das Musikgeschäft umgekrempelt haben. Nehmen Sie Netflix, die gerade die Videotheken verdrängen. Nehmen Sie Amazon, die sich vom reinen Online-Händler zu einem Logistik- und IT-Konzern gewandelt haben.
"Eine neue Generation von Automobilen"
mm: Was birgt denn Potenzial für neue Geschäftsmodelle rund um die Automobilität?
Paul: Durch die Informationstechnologie haben Autohersteller künftig eine direkte Verbindung zu ihren Nutzern. Die Marke, die Kundenloyalität und Kundenbindung werden so gestärkt. Dies kann durch Online-Apps passieren, dies kann aber auch durch die Anwendungen direkt im Auto geschehen.
mm: Gibt es Vorreiter unter den Autoherstellern, die das schon für sich nutzen?
Paul: Es wird von allen großen Herstellern viel Geld, Forschung und Entwicklung in diesen Bereich gesteckt. Teilweise verfolgen sie auch verschiedene Strategien. General Motors und Opel betrachten die Telematik stark aus der Perspektive der Sicherheits- und Fahrzeugdiagnose. Ford hat sich sehr dem Thema Infotainment verschrieben. Wenn man alles zusammen nimmt, dann läuft es auf eine neue Generation von Automobilen hinaus, deren Interieur und Fahrerlebnis vollkommen von den Nutzern selbst bestimmt werden können. So werden auch neue Möglichkeiten für Werbetreibende entstehen, Kunden im Auto selbst zu erreichen, und zwar ausgehend von deren Präferenzen.
mm: Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Geschäftstätigkeit ist die Gesundheitsbranche.
Paul: Ja, im Gesundheitswesen gibt es sicher 120 verschiedene Prozesse, die elektronisch erledigt werden können. Zum Beispiel die Rezeptausstellung, die Dokumentation medizinischer Patientendaten wie Röntgenbilder oder Bluttests, Bezahlsysteme, Krankenkassendaten und die Anbindung an nationale Datenbanken.
mm: In Deutschland ist die elektronische Patientenakte ein Streitthema, über das seit langem diskutiert wird. Ist das in den USA anders?
Paul: In den Vereinigten Staaten wird dieses Thema sehr unternehmerisch angegangen. Zugang zu medizinischen Informationen zu bekommen und diese Informationen dann zu teilen, das wird sehr breit vorangetrieben. Auch große private Gesundheitsinstitutionen leisten hier über Gemeindegrenzen hinweg Vorarbeit, um dieses Wissen national verfügbar zu machen.
mm: Wie sieht es in Europa aus?
Paul: Dänemark ist so ein Beispiel, wo es schon heute eine landesweite Online-Gesundheitsdatenbank gibt. Die Dänen haben eine nationale, ineinandergreifende Gesundheitsplattform geschaffen. Davon werden sie profitieren.
"Das ist eine Demokratisierung der IT"
mm: In Deutschland ist die Situation eine andere.
Paul: Es mag sein, dass Kultur und Rechtssystem hier etwas anders gelagert sind. Wir haben aber große IT-Konzerne auch in Deutschland als Partner, die interessiert daran sind, solche Systeme zu etablieren.
mm: Die großen deutschen IT-Konzerne wie SAP oder die Software AG suchen bei vielen Themen selbst ihr Heil in den Vereinigten Staaten, um nicht den Anschluss zu verlieren. Es heißt, die Amerikaner sind in Sachen IT der Entwicklung in Deutschland um mindestens zwei Jahre voraus. Nehmen Sie das auch so wahr?
Paul: Ich würde da gegenwärtig zustimmen. Allerdings weiß ich nicht, wie lange diese Faustregel so gelten wird. Die Evolution von so genannten nutzungsorientierten Geschäftsmodellen schreitet schnell voran. Das heißt, sie nutzen IT-Infrastruktur, Anwendungen, Datenbanken wenn sie es wollen und wie sie es wollen. Und da sind wir in der Regel beim Thema Cloud. Jedes Unternehmen jeder Größe kann heute eine Bedrohung für größere Wettbewerber überall auf der Welt sein. Das ist eine Demokratisierung der IT. Für unser APM-Geschäft, also den Website-Leistungstests, gilt derzeit, dass wir IT-Konzernen wie Hewlett-Packard und CA substanziell Marktanteile abnehmen.
mm: Gleichzeitig leiden Sie unter dem nur noch langsamen Wachstum ihres Großrechnergeschäfts, dass noch nach den alten Regeln funktioniert. Wie weit sind Sie mit der Transformation?
Paul: Wir wandeln uns seit ein paar Jahren. Damals machten die zwei Wachstumsfelder APM und Covisint 14 Prozent unseres Umsatzes aus. Derzeit sind es gut 45 Prozent. Im kommenden Jahr werden es weit mehr als 50 Prozent sein.
mm: Wird es in einigen Jahren wieder Konzerne geben, die sämtliche Cloud-Dienste aus einer Hand anbieten können?
Paul: Es wird immer solche One-Shop-Companies geben. Die großen profitablen Konzerne werden auch in der Lage sein, junge Unternehmen und somit Innovationen und Wissen für ihr Portfolio zuzukaufen. Das Problem ist inzwischen allerdings, dass selbst die jungen Unternehmen in sehr hohe Bewertungen vorstoßen - also zum Beispiel das zehn- bis zwanzigfache des Umsatzes. Gleichzeitig kommen die bahnbrechenden Innovationen derzeit vor allem von den kleineren. Das liegt unter anderem daran, dass sie nicht Gefahr laufen, ihre bisherigen Lizenz-Geschäftsmodelle zu kannibalisieren. Es ist schon eine faszinierende Zeit, wenn man in der IT-Branche tätig ist.
mm: Ende 2012 haben Sie selbst eine Übernahmeofferte ausgeschlagen. Wann würden Sie schwach werden?
Paul: Wenn wir ein vernünftiges Angebot bekommen, dann schauen wir uns das natürlich an. Wenn der Aufschlag auf die derzeitige Marktbewertung hoch genug ist, dann legen wir das unseren Investoren vor. Derzeit ist es aber so, dass letztere ganz zufrieden sind.