Nokia "Wir müssen höhere Risiken eingehen"

"Wandel, Beschleunigung und Transformation": Marketingvorstand Savander will Nokia zum Angreifer machen
Foto: REUTERSmm: Herr Savander, Nokia hat den Smartphone-Trend verschlafen. Viele Marktbeobachter trauen dem einst unbestrittenen Weltmarktführer keine großen Innovationen mehr zu. Ist Nokias Zeit abgelaufen?
Savander: Klares Nein. Wir haben es geschafft, große Teile der Weltbevölkerung erstmals mit Handys und Internet zu versorgen. Sobald der Wohlstand in den Schwellenländern steigt, werden die Menschen dort auf unsere leistungsfähigeren Produkte aufrüsten. Aber kein Zweifel: Um im oberen Ende des Marktes mehr Erfolg zu haben, müssen wir uns im Smartphone-Segment noch weiter verbessern.
mm: Können Sie das überhaupt?
Savander: Wieso sollten wir das nicht können? Vielleicht haben wir uns in früheren Jahren zu sehr auf das Geschäft mit Handys der unteren und mittleren Preisklasse konzentriert. Das gebe ich zu. Aber wir haben ohne Zweifel die Gene und die Fähigkeiten, auch im hochpreisigen Segment Erfolg zu haben.
mm: Das manager magazin setzt sich in seiner aktuellen Ausgabe mit dem geplanten Neustart bei Nokia auseinander. Was muss sich ändern?
Savander: Als unser Aufsichtsratschef Jorma Ollila im September den neuen CEO Stephen Elop vorstellte, verwendete er vor allem drei Worte: Wandel, Beschleunigung und Transformation. Unsere bereits begonnene Umstellung vom reinen Handyproduzenten zum Anbieter mobiler Software- und Internetdienste ist und bleibt der richtige Weg. Jedoch müssen wir uns dabei verbessern und schneller werden.
mm: Was kann Stephen Elop verändern?
Savander: Wir müssen schnellere und mutigere Entscheidungen fällen, dabei größere Risiken eingehen. Wir sollten manche Dinge einfach machen und später gegebenenfalls korrigieren, falls sie sich nachträglich als falsch herausstellen. Stephen Elop hat als neuer Vorstandschef den Vorteil, dass er unbefangen loslegen kann. Er muss nicht an früheren Entscheidungen festhalten und sie verteidigen.
mm: Welche höheren Risiken will der Vorstand eingehen?
Savander: Momentan setzen wir uns beispielsweise mit der Frage auseinander, wie viele Produkte wir in Zukunft anbieten werden. Verringert man die Zahl der Modelle, steigert man automatisch das Risiko.
"Wir sind nicht mehr der brave Konzern aus dem Hinterland"
mm: In vergangenen Jahren hat Nokia teils bis zu 50 neue Handymodelle auf den Markt gebracht. Wird sich das ändern?
Savander: Da wir weltweit den Mobilfunkmarkt in allen Preissegmenten von 15 bis 500 Euro abdecken, werden wir sicherlich auch künftig diverse Modelle anbieten. Aber generell tendieren wir zu einer kleineren Produktpalette. Das gilt insbesondere für das Hochpreissegment. Hier werden wir uns auf einzelne Flaggschiffprodukte wie das neue N8 konzentrieren.
mm: Flaggschiff klingt nach Wettkampf. In der Außendarstellung ist Nokia bislang jedoch eher zurückhaltend und friedlich aufgetreten.
Savander: Das wird sich künftig ändern. Wir sind nicht mehr der brave, etwas langweilige Konzern aus dem europäischen Hinterland. Gerade bei den Internetdiensten sind wir in der Position des Angreifers. Es sind diese neuen Mitstreiter aus Kalifornien, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Wir werden sehr deutlich machen, dass wir einen anderen Ansatz im mobilen Internet vertreten als beispielsweise Google.
mm: Und zwar?
Savander: Google macht keine Umsätze mit Hardware, sondern mit Werbung im Internet. Wir sehen unsere Stärke aber gerade darin, dass wir in mehr als 140 Ländern unsere Geräte verkaufen und dabei auf exzellente Beziehungen zu Netzbetreibern wie AT&T oder Vodafone bauen können. Wir können ebenso Software und Services anbieten, sind dabei aber nicht auf irgendwelche Werbeerlöse angewiesen - und müssen auch die Daten unserer Kunden nicht vermarkten.
mm: Wie wollen Sie Google herausfordern?
Savander: Unser großes Zukunftsthema nennt sich Location. Wir sind davon überzeugt, dass lokale Dienste die nächste Dimension des mobilen Internets darstellen werden: Das reicht vom Mittagsangebot des nächstgelegenen Steakrestaurants in New York bis hin zu SMS-Diensten für indische Bauern, die sich über den lokalen Tomatenpreis informieren wollen. Solche Services entwickeln wir übrigens vor allem an unserem Standort in Berlin.
mm: Auch Google arbeitet seit Jahren an lokalen Internetangeboten.
Savander: Das ist korrekt. Aber wir haben einen großen Vorteil in den Schwellenländern, weil viele Menschen dort bislang nur über Mobiltelefone ins Internet gehen. Wir sind da unbestrittener Marktführer. Außerdem haben wir vor einigen Jahren mit NAVTEQ einen führenden Anbieter von Kartendiensten gekauft. Dadurch können wir weltweit die akkuratesten digitalen Karten anbieten.
mm: Nokia ist der einzige europäische Konzern, der noch ernsthaft mit US-Konzernen wie Apple oder Google konkurrieren kann. Warum lassen sich die Europäer derart den Schneid abkaufen?
Savander: Ich sehe in Europa gewisse strukturelle Probleme. Das Ausbildungssystem bringt nicht genügend hoch qualifizierte Programmierer hervor, dabei wären IT und Programmierung ein idealer Mehrwert, den Europa anbieten könnte. Die Vereinigten Staaten verfolgen da einen effektiveren Ansatz. Aber auch in Indien werden inzwischen sehr viele Spitzenkräfte ausgebildet. Die einzige Chance für europäische Unternehmen besteht darin, sich möglichst global aufzustellen. So wie Nokia.