Webauftritte damals Schrille Farben, seltsame Slogans
Hamburg - Flaschenpost aus einer anderen Zeit: Im April 1998, fünf Monate vor seiner Abwahl, lächelt Helmut Kohl auf der Seite bundeskanzler.de und begrüßt die Besucher aus Bonn. Diese Seite ist fliederfarben, ein grün-rot-blau-gelber Button wirbt für die Seite "Kanzler for Kids", wo man das Büro Kohls sieht und der als GIF (das damals meistverbreitete Grafikformat) animierten Deutschlandfahne dabei zusieht, wie sie im Online-Wind flattert, während das Kanzler-for-Kids-Logo heftig in Primärfarben blinkt.
Die animierten Kanzler-GIFs sind die digitale Flaschenpost aus einer anderen Ära. Erhalten sind sie nur geblieben, weil das gemeinnützige Archive.org sie gespeichert hat. Das Webarchiv soll alles Digitale archivieren, damit man in Jahrzehnten noch im Web von 1997, 1998 oder 2001 recherchieren kann, auch wenn die damals aktuellen Seiten längst gelöscht sind.
Der Seitensammler ist ein Projekt des Informatikers Brewster Kahle. Kahle hat zum Glück auch Geld, um seine Vision mit immer neuen Projekten voranzutreiben. Er verkaufte 1995 das WAIS-Datenbanksystem an AOL, 1999 dann seinen Web-Statistikdienst Alexa an Amazon (für angeblich 250 Millionen Dollar). Mit diesem Startkapital finanziert Kahle eine stetig wachsende Sammlung aller erdenklichen Digitalien.
Wir haben uns in Kahles Archiv umgeschaut und Seiten aus dem Online-Mittelalter gesammelt. Wie strahlte das deutsche Web um die Jahrtausendwende? Wie sah Facebook am Anfang aus? Sehen Sie selbst in unserer Sammlung der Fundstücke aus dem Web-Mittelalter.
In der Reihe Yestertech zeigt SPIEGEL ONLINE, was gestern Zukunft war.