manager-lounge Die Kriminalität der Zukunft
Hamburg - Bei Experten für Sicherheit im Internet war das Entsetzen groß. Ausgerechnet vom neuen britischen Geheimdienstchef Sir John Sawers wurden kürzlich private Details in dem beliebten Online-Netzwerk Facebook öffentlich. Gab es bisher kaum Fotos von ihm, tauchten nun Bilder in Badehose auf, die Namen von Freunden und sogar die Urlaubsziele der Familie - alles veröffentlicht von seiner Frau Lady Shelley Sawers.
Felix Juhl, Fachmann auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationssicherheit, warnt vor so einem leichtfertigen Umgang mit privaten Daten im Internet, da müsse man gar kein hochrangiger Politiker oder gar Geheimdienstchef sein. "Ich empfehle allen eindringlich, auf zwei getrennten Rechnern zu arbeiten: Mit dem einen surfen Sie im Internet und verschicken Mails. Und auf dem anderen speichern Sie Ihre wichtigen Daten, mit denen Sie besonders im Netz sehr zurückhaltend umgehen sollten. Persönliches gehört nicht ins Internet", so Juhl vor den Mitgliedern der Hamburger manager-lounge.
Als international tätiger Sicherheitsberater für Unternehmen sowie wirtschaftliche und politische Entscheidungsträger kennt sich Juhl aus im Kampf gegen Wirtschaftsspionage und das organisierte Verbrechen. "Die neuen Technologien ermöglichen neue Formen der Kommunikation und Organisation. Die Kriminalität wird dabei zu einem globalen Phänomen mit beträchtlicher ökonomischer Wertschöpfung", sagt Juhl. "Sicher ist, wir können das Internet kaum mehr beherrschen", weiß der Experte, denn dieses ist sehr schnell zu einem komplexen System herangewachsen, das über alle geographischen sowie politisch-administrativen Grenzen hinausgeht.
Die Zuhörer erhielten Antworten und Ausblicke, teils unter den Bedingungen der so genannten Chatham-House-Regeln, auf die entscheidenden Fragen und Herausforderungen für die globale Gemeinschaft: "Wie verändern das Internet und die Kommunikation der Zukunft Prozesse, Lieferketten, Zahlungssysteme und Unternehmensbeziehungen? Könnten aufgrund des soziodemografischen Wandels neue Tätergruppen auftauchen? Und wird die Wirtschaftskrise neue Formen von Bedrohungen erzeugen - wer profitiert eigentlich von der Krise?"
Die nationale und internationale Sicherheit sei zu Beginn des 21. Jahrhunderts in vielfältiger Hinsicht betroffen, berichtet Juhl. "Wir sind konfrontiert mit Terrorismus, weltweit organisierter Kriminalität, Waffenproliferation und steigenden Problemen mit der Internetsicherheit - von Attacken im Internet selbst bis hin zu Attacken auf das weltweite Netz als Ganzes." Mensch gegen Mensch, Mensch gegen System und System gegen System.
Ein entscheidender Punkt sei, dass sich die Menschheit für die Nutzung des Internets noch abhängiger vom Strom gemacht habe: "Das Internet sowie die bestehenden Computer- und Netzwerkinfrastrukturen beansprucht schätzungsweise 9 Prozent des weltweiten Strombedarfs. Der enorme Anstieg des Internet-Traffics führte bereits Ende Oktober 2007 dazu, dass zum Beispiel die von dem größten Internetaustauschpunkt AMS-IX benötigte Gesamtkapazität erstmals die 350-GBit/s-Grenze überschritt. Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass das künftige Kapazitätswachstum sich verlangsamen wird, ist davon auszugehen, in Kürze in die Nähe der noch nie dagewesenen Marke von ein Terabit pro Sekunde zu kommen".
Eigene de-Mail für jeden Bundesbürger
Aktuell nutzen weltweit mehr als 1,5 Milliarden User das Internet. "Eine Angabe der genauen Menge von Daten pro Sekunde auf dem Weg von irgendwo nach irgendwo ist kaum mehr real messbar. Ich schätze den jährlichen Energiebedarf der Internet-Rechenzentren auf rund 150 Milliarden Kilowattstunden Strom. Das entspricht im Vergleich in etwa dem Gesamtverbrauch an Strom aller deutschen Haushalte. Noch vor wenigen Jahren war der Energieverbrauch hingegen nur halb so hoch", so Juhl.
Durch diese gewachsenen Abhängigkeiten von Infrastrukturen ist die Gesellschaft besonders gefährdet. Ein Anschlag oder künstlich herbeigeführte Fehler beispielsweise auf die Stromnetze kann das ganze System regional - und mit ausreichend krimineller Energie sogar großräumig - zum Einsturz bringen.
Doch auch die Cyberkriminalität innerhalb des Internets ist hoch. "Durch die vermutete Anonymität ist die Hemmschwelle zur Kriminalität stark herabgesetzt. Vieles passiert virtuell, zum Beispiel in der Online-Community 'Second Life'. Dort tummeln sich Millionen Menschen und viele seriöse Unternehmen, aber auch Terroristen, Wirtschaftskriminelle und Pädophile. Sie nutzen diesen Ort als Rückzugsraum - die rechtlichen Möglichkeiten, auch einer ständigen Überwachung, sind hier arg begrenzt" berichtet Juhl: "Das Internet per se besitzt kein Wertesystem".
"Jugendliche geben in den sozialen Netzwerken freiwillig Ihre Neigungen, Hobbies, Vorlieben und Bekanntenkreise preis, teilweise sogar intime Fotos. Die moderne Gesellschaft surft täglich im Netz, benutzt Kredit- und Kundenkarten und legt so eine digitale Spur ganz persönlicher Information", sagt Juhl. Noch nie wurden Verhaltensweisen so technisch perfekt und eindeutig abgebildet und aufgezeichnet wie heute.
"Die Sicherheit der privat wie beruflich genutzten Computer und Netzwerke entwickelt sich deshalb zur Schlüsselfrage unserer Informationsgesellschaft", so Juhl. Auch das Thema der persönlichen Kontrolle über eigene Daten sowie die Aufrechterhaltung der informellen Selbstbestimmung werde weiter zunehmen. "Viele Fluggesellschaften lassen nur noch Buchungen über das Internet zu. Auch die Idee der Gesundheitskarte gehört zu dieser Problematik - in diesem Fall höchstwahrscheinlich getrieben von der Pharmaindustrie. Der Bürger kann nur hoffen, dass die Daten ausreichend gesichert sind vor unberechtigter Zugriffen Dritter", mahnt der Sicherheitsexperte und wirft einen Blick in die Zukunft: "Ähnlich der persönlichen eindeutigen Steueridentifikationsnummer, die jeder zugeordnet bekommen hat, wird in deutschen Ministerien intensiv darüber diskutiert, dass jeder Bürger in Deutschland eine eigene 'de-Mail' für den Schriftverkehr mit Behörden und Ämtern bekommt".
Das Gedächtnis des Internets
Andere Länder sind in der Bürgerkontrolle sogar noch weiter: "Wenn Sie in Russland einreisen und die Daten auf Ihrem Laptop sind verschlüsselt, dann müssen Sie diese entschlüsseln. Tun sie das nicht, kann es Ihnen durchaus passieren, dass Ihr Rechner konfisziert oder die Festplatte zerstört wird."
Und in den USA werden laut Juhl bereits 97 Prozent des gesamten Kommunikationsverhaltens analysiert. "Haben Sie dort einen Unfall auf dem Supermarktgelände, dann liegt es an Ihnen, zu beweisen, dass Sie nicht betrunken waren. Falls Sie in dem Markt in den Monaten zuvor ab und an Alkohol eingekauft haben sollten, haben Sie ein Problem: alle diese Daten sind dort gespeichert und werden notfalls vor Gericht gegen Sie angewendet."
Doch trotz der zunehmenden staatlichen Kontrolle mit dem offiziellen Ziel, die Sicherheit zu erhöhen, gibt es auch Fälle, die genau in die andere Richtung zielen. So prüfen Meldebehörden in Deutschland offenbar so gut wie gar nicht, wer Ihnen da gegenüber steht und einen Ersatzpass beantragt. "Es ist kein Problem, die Identität einer Person anzunehmen, die man gar nicht ist - und dann fleißig Konten zu eröffnen oder Kreditkarten zu beantragen", so Juhl über einen offensichtlichen Missstand, der seitens der Behörden nicht gerne öffentlich angesprochen wird.
Kriminelle nutzen diesen gerne aus. Genauso werde auch Falschgeld immer mehr perfektioniert, auch ist mit einer hohen Zunahme von geklonten Kreditkarten zu rechnen. Eine hohe Gefahr gehe zudem von Computerviren aus. "Der weit verbreitete Virus 'Conficker' hat uns am 1. April dieses Jahres noch einmal verschont, doch er könnte bald mit voller Wucht zuschlagen, zum Beispiel, indem er alle betroffenen Festplatten sperrt und nur gegen 'eine geringe Gebühr' wieder frei gibt." Doch auch ohne Virus - die Spuren, die jeder Nutzer täglich im Internet hinterlässt, bleiben.
Nachzuprüfen ist das leicht unter www.archive.org, dem Gedächtnis des Internets, in dem sich längst vergessen geglaubte Seiten wiederfinden. Experten haben da natürlich noch andere technische Möglichkeiten, auf den ersten Blick gelöschte Einträge und Fotos zu rekonstruieren. Deshalb sind die Folgen der naiven Datenveröffentlichung im Hause Sawers auch so groß: Trotz Löschung der entsprechenden Facebook-Seite wird die Familie des Geheimdienstchefs wohl umziehen und zusätzlichen Personenschutz erhalten müssen.
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