iPhone im Test Kränkelndes Kultobjekt
New York - Die Hiobsbotschaft kommt, kurz nachdem sich die Schlange nach sechs Stunden Wartezeit endlich in Bewegung gesetzt hat. "Keine Acht-Gigabyte-Modelle mehr", ruft Cheryl, das Mädel von AT&T, das uns seit mittags immer wieder Mut zugesprochen hat. Ein Heulen geht durch die Menge am AT&T-Laden, pflanzt sich vom Eingang an der Sixth Avenue um die Ecke fort, durch die 17th Street bis zur Fifth. "Wir haben leider nur noch Vier-Gigabytes", sagt Cherly. Die durstige Meute lyncht sie fast.
Eine halbe Stunde später - sechseinhalb Stunden, nachdem ich mich artig als Nummer 41 in die Schlange eingereiht habe - halte ich es in der Hand. Der AT&T-Kundenberater verlangt zwar zuerst noch einen "credit check" vor Ort, also eine Überprüfung meiner Bonität, samt Vorzeigen eines US-Passes. Doch gutes Zureden überzeugt ihn davon, dass dies nicht nötig sei und auch von daheim erledigt werden könne, per Aktivierung - und ohne Pass.
Und? Ist es die Aufregung wert? Den wochenlangen Hype auf allen Kanälen? Das Anstehen in sengender Sonne, mit einer stündlich randalelustigeren Bande aus Mac-Freaks und Wall-Street-Typen, 90 Prozent männlich? Die Häme hupender Trucker? Der Neid der Zuspätgekommenen? Die 499 Dollar?
Die Hardware
Das iPhone ist eleganter und schnittiger als alles andere, was es derzeit an Handys und PDAs zu kaufen gibt: schmal, dünn, luxuriös, ein Statusobjekt. Mein bisheriger PDA, ein Blackberry 7130e, wirkt im Vergleich dazu wie ein alter Benz-Diesel gegen einen Lamborghini.
Das iPhone liegt mit seinen 136 Gramm angenehm in der Hand, fast lasziv, nicht zu leicht, nicht zu schwer, wie ein glatter, polierter Fühlkiesel. Das schwarze, kühle Glas der Bildschirmoberfläche - die schnell verschmiert, aber nicht verkratzt - mutiert zum brillianten Computerscreen, sobald man den einzigen physischen Druckknopf berührt, den "Home"-Button. Alles weitere verläuft virtuell.
Schon nach wenigen Sekunden merke ich: Das iPhone ist kein Handy. Es ist ein Laptop im Taschenformat, das auch telefonieren kann.
Freischaltung via iTunes
Die Software
AT&T beziehungsweise Apple drücken einem wirklich nur die Hardware in die Hand. Die sonst hier übliche Tortur einer Handybeschaffung, wie sie in den USA längst zu den verhasstesten Dienstleistungserlebnissen gehört, fällt weg, allein das ist schon revolutionär: Keine lästigen Verkaufsgespräche mehr, kein Feilschen um Minutenpläne, keine endlosen Dokumente, die es zu unterzeichnen gilt. Das kann man jetzt alles selbst erledigen, zu Hause, per Mausklick. Einfach nur die neueste Version von iTunes runterladen (iTunes 7.3) und das iPhone über die USB-Buchse anschließen, wie einen iPod. (Das lädt gleichzeitig auch die Batterie.)
iTunes führt mich Schritt für Schritt durch die bequemste Handyaktivierung, die ich hier je erlebt habe. Es übernimmt automatisch meine alte Handynummer von meinem bisherigen Carrier Verizon und überträgt sie zu AT&T. (Die Strafgebühr von 175 Dollar für meinen vorzeitigen Vertragsausstieg dürfte ich auf der Verizon-Schlussrechnung finden.) Es gibt mir diverse Monatspläne zur Wahl; ich entscheide mich für 2000 Minuten (Wochenenden und Nächte unbegrenzt, Gespräche im AT&T-Netzwerk umsonst), unbegrenzte Datenmenge, 200 SMS, alles in allem 119,99 Dollar. Klick, fertig. Das Ganze dauert kaum fünf Minuten.
Einmal aktiviert, zeigt der Home-Screen zwölf Programmsymbole, die aussehen wie die bekannten Mac-Widgets: SMS, Kalender, Fotos, Kamera, YouTube, Aktien, Google-Maps, Wetter, Uhr, Taschenrechner, Notizen und Settings (Einstellungen). Darunter finden sich die vier virtuellen Hauptfunktionstasten: Phone, Mail, Browser (Apples Safari), iPod.
Umdenken für den Daumen
Dazwischen ist noch Platz für vier weitere Programme, die Apple mit der Zeit ergänzen dürfte. In der Warteschlange an der 17th Street wurde gestern unter anderem auf iChat spekuliert, das Chatprogramm Apples, das derzeit im iPhone noch nicht enthalten ist.
Sanfte Fingerberührung aktiviert die Buttons. Der Homescreen verschwindet, und das gewünschte Programm erscheint. All das geschieht mit einem pfiffigen Widget-Effekt.
Scrollen funktioniert per "Flicken" der Finger, als wolle man eine Fliege verscheuchen. Das Zusammenführen/Auseinanderziehen von Daumen und Zeigefinger verkleinert/vergrößert die Ansicht von Websites, Fotos und E-Mails (ein "double tap" erreicht das Gleiche) - ein toller Zoomeffekt, der aber Training erfordert. Vor allem mein Daumen, Blackberry-verwöhnt, muss zunächst umdenken. Doch bald lerne ich, dass ich einen Button exakt am besten treffe, indem ich leicht links daneben ziele.
Synchronisation und E-Mail
Das Handy
Über USB hat das iPhone gleichzeitig schon diskret alle Info-Daten aus meinem Mac synchronisiert: Adressen, Telefonnummern, Termine, Browser-Bookmarks, iPod-Songs und iPhoto-Bilddateien. Beim Antippen des Telefonsymbols erscheint mein Mac-Adressbuch, alphabetisch sortiert. Mit dem "Flicken" eines Fingers scrolle ich durch die Liste und kann den jeweiligen Eintrag wählen. Bloßes Berühren der Nummer stellt die Verbindung her. Die Qualität der Anrufe ist befriedigend, die Lautstärke jedoch könnte besser sein. Das ist typisch AT&T.
Und auch eines der größten Mankos des iPhones, zumindest hier: die Exklusiv-Koppelung an AT&T. Das Unternehmen rühmt sich zwar des "größten digitalen Datennetzwerks" in den USA (und der "wenigsten abgebrochenen Anrufe"). Doch die Landkarte des Funkbereichs zeigt vor allem in der westlichen Hälfte des Kontinents noch weite AT&T-freie Zonen, etwa in Nevada, Arizona, Kalifornien und Alaska.
Auch ist das Edge-Network von AT&T, über das das iPhone ins Internet steigt, langsamer als das der Konkurrenz - ein Kompromiss, den Apple einging, um Speicherkapazitäten zu sparen. Dafür schaltet das iPhone automatisch auf W-Lan um, so vorhanden, zum Beispiel in meiner Wohnung oder beim Gang um den Block zu Starbucks. Ohne W-Lan kommt das "Jesus Phone" aber wie auf Krücken daher, jedenfalls was die Netzverbindung angeht.
Brilliant dagegen das Voicemail-System. Anderswo muss man sich durch krächzende Computeransagen quälen, um Voicemail abzufragen ("Sie haben sieben neue Messages "). Das iPhone präsentiert Voicemail wie E-Mails in einer Inbox. Antippen genügt, und man hört die Nachricht seiner Wahl. Noch mal antippen, und man kann zurückrufen. Um meine Grußansage in angemessener Qualität aufzunehmen, brauche ich jedoch mehrere Minuten. Wer es ganz traditionell mag, kann über ein virtuelles Keyboard wählen, das den ganzen Bildschirm ausfüllt und bequemer ist als alles andere, was derzeit auf dem Markt ist.
Persönliche Klingeltöne kann man leider nicht aufladen. Dafür bietet das iPhone 25 eigene, meist originelle Ringtones, darunter eine Flippermaschine, ein Motorrad und laut zirpende Grillen. Meine Lieblingstöne sind die "Türklingel" (mein Hund guckte tatsächlich zur Tür) und das klassische, alte Schrilltelefon.
Das iPhone zapft das E-Mail-System des Kunden an (in meinem Fall Mac-Mail), etwa Yahoo, GMail oder AOL. Die E-Mails werden, anders und besser als etwa beim Blackberry, mit Überschrift, Absender und kurzem Anriss präsentiert, wie ein RSS-Reader. Das Lesen ist ein Spaß: "Flicken", Scrollen, Antippen, öffnen.
Die E-Mail selbst wird nicht zu einer kruden Textversion verstümmelt, sondern erscheint in der gleichen HTML-Ansicht, in der sie auch zu Hause auf dem Computer erscheinen würde, inklusive Fotos und Inserts. Anlagen öffnen sich in Sekundenbruchteilen in ihrem Original-Programm, auch Word-Dokumente (die aber nicht redigiert werden können). Ein .wmv-Video, das mir ein Freund schickte, ließ sich hingegen auf dem iPhone nicht öffnen.
Das Fazit
Text Messaging
Funktioniert wie das iChat-Programm: SMS werden als Comic-Sprechblasen abgebildet. Das virtuelle Keyboard ist freilich gewöhnungsbedürftig. Es belegt die untere Hälfte des Screens, ist kleiner als ein Blackberry-Keyboard und - da die Tasten nicht physisch hervorstehen - anfangs schwerer zu bedienen. Das Autofill-Programm korrigiert falsch eingetippte Worte jedoch von selbst, wenn auch nur in Englisch. Deutsche SMS geraten zum Kampf gegen das System: Ich tippe auf Deutsch, das iPhone korrigiert auf Englisch. Nach ein paar Stunden habe ich den Trick jedoch drauf - und deutsche Kunden dürften dieses Problem sowieso nicht haben.
Praktischer Einfall: Alle SMS werden wie E-Mail oder Voicemails gespeichert und lassen sich so auch nachträglich noch abrufen und lesen.
Internet
Das iPhone hat einen vollständigen Safari-Browser. Meine persönlichen Bookmarks übernahm es beim "Syncen" automatisch - allerdings mit einem lästigen Nebeneffekt: Es klatschte mir ein paar vorprogrammierte, eigene Bookmarks dazwischen, die ich jetzt auch auf meinem Desktop habe, da der Sync-Vorgang in beide Richtungen funktioniert.
Der Browser ist leider, wegen des besagten AT&T-Networks, etwas langsam, legt jedoch merklich zu, sobald man eine W-Lan-Zone durchschreitet. Trotzdem ist das Web via iPhone im Vergleich zur rudimentären Internetpräsentation anderer Handyanbieter (etwa dem verkrüppelten Pseudo-Web von Blackberry) ein toller Sprung nach vorne - um Lichtjahre. Webseiten erscheinen exakt, wie sie auf dem Desktop erscheinen. Nur eben kleiner.
Die Brillianz des iPhone-Screens macht es möglich. Selbst die Bildunterschriften der "New York Times"-Homepage sind noch gut lesbar. Neue Seiten werden ähnlich aufgeblättert wie die CD-Cover bei iTunes. Das Zoomen per Finger ist ein richtiges "Wow"-Erlebnis. Und das Beste: Legt man das iPhone quer auf die Seite, dreht sich die ganze Webseite mit.
Eine Macke hat das iPhone-Internet trotz allem Firlefanz dennoch: Es verfügt über keinen Flash-Player.
iPod
Das iPhone enthält einen kompletten Video-iPod - besser: einen völlig neu erfundenen, visionären Video-iPod. Die Benutzeroberfläche ist nicht mehr nur eine Liste von Songs und Videos, sondern eine Miniversion der iTunes-Optik, inklusive Cover-Scroll (aber ohne Clickwheel). Die akustische Wiedergabe ist viel besser als bei meinem fast schon antiken 20-Gigabyte-Clickwheel-iPod - und wesentlich besser als bei meinem neuen Ein-Gigabyte-iPod-Shuffle.
Musikvideos laufen über die ganze Querbreite des iPhones - ein enormer Fortschritt zu den Winz-Screens anderer. Auch hier sind Schärfe und Brillianz atemberaubend. Gleiches gilt für TV-Shows und Filme. Allerdings musste ich mein Vier-Gigabyte-iPhone - bis auf eine einzige Playlist - erst von allen Songs und Fotos freiräumen, um Platz zu schaffen für zwei 45-Minuten-Episoden von "CSI: Miami" (die tatsächliche Ladekapazität ist 3,49 Gigabyte). Es war es wert: Die Szenen wirkten fast dreidimensional.
Noch so eine typische Apple-Macke: Nur die mitgelieferten iPhone-Ohrstecker passen in die tief eingelegte Steckerbuchse. Meine eigenen Kopfhörer fanden keinen ausreichenden Griff. Das Problem ist mit einem Adapter zu lösen, den man allerdings gesondert kaufen muss.
Das iPhone bietet noch zahlreiche andere Vergnüglichkeiten: Eine Zwei-Megapixel-Kamera, die gute Fotos macht, allerdings ohne Blitz oder Videokapazität; ein direktes YouTube-Programm, auf dem man Videos angucken kann, ohne in den Internetbrowser zu müssen; Google-Landkarten; Wetter. Was fehlt: Computerspiele und ein direkter Zugang zu iTunes.
Fazit
Alles in allem: Ein revolutionäres Gerät, nicht nur für Mac-Fans, das trotz seiner diversen Macken alles andere in den Schatten stellt und eine neue Ära der Kommunikation einläutet. Ein iParadies - mit Fallgruben. Wenige wird das abschrecken, ebenso wenig wie der Preis.
Nur eins hat sich nicht geändert: Um 22.25 Uhr, zwei Stunden nach der Aktivierung, bekam ich meine erste iPhone-Spam-Mail.