Lead Awards Verwirrspiel mit Auszeichung

Vergangenes Jahr sorgte ein Autovermieter namens Gibsnisch für Aufsehen in der Branche. Aggressiv warb der Newcomer damit, günstigere Tarife als Platzhirsch Sixt anbieten zu können. Verantwortlich dafür war die Agentur Jung von Matt, die für ihre Kampagne gerade einen Lead Award gewann - denn es steckt mehr dahinter, als man denkt.

Hamburg - Gerade noch räkelt sich eine spärlich bekleidete Brünette genüsslich auf der Motorhaube eines silbernen Sportwagens. Doch schon einen Klick weiter fällt die Kulisse der Webseite Gibsnisch.de komplett in sich zusammen und das aufreizende Model fliegt durch die abstrakte Szenerie.

Was auf den ersten Blick ziemlich absurd klingt, ist nichts anderes als eine Werbekampagne des Autovermieters Sixt , die vor Kurzem einen der in der Werbebranche begehrten Lead Awards abgeräumt hat. Mit ihrer Idee eines fiktiven Konkurrenten gewann die Werbeagentur Jung von Matt, die hinter der Kampagne steckt, den Preis für die beste Webwerbung des Jahres. Die Hamburger setzten sich dabei gegen die Kreativen von Tribal DDB mit ihrer Nike-Kampagne und die Argonauten, die für die Zusammenarbeit von Coca-Cola  und Apples Musikshop iTunes warben, durch.

"Einen besseren Autovermieter als Sixt? Gibs nisch!"

Die außergewöhnliche Art und Weise, mit der Jung von Matt für Sixt warb, beeindruckte die Jury offenbar. Schließlich erfanden die Werber extra für den Autovermieter einen Wettbewerber namens Gibsnisch. Im März vergangenen Jahres wurde die erste Printanzeige des fiktiven Autovermieters geschaltet. Ziemlich aggressiv warb dieser mit dem Spruch: "Noch günstiger als Sixt. Bessere Mietwagen, kleine Mietpreise."

Wer Näheres zu dem neuen Konkurrenten wissen wollte, konnte sich auf der Webseite Gibsnisch.de informieren. Doch ein Klick auf die Angebote des ominösen Wettbewerbers führte zu dem besagten Zusammenbruch der Kulisse. Am Ende weist ein in den Sixt-Farben Orange und Schwarz gehaltener Aufkleber den verwirrten Nutzer auf Folgendes hin: "Einen besseren Autovermieter als Sixt? Gibs nisch!" Anschließend wird der abtrünnige Kunde auf direktem Wege auf die Internetseite des Platzhirschen weitergeleitet - das eigentliche Ziel der Werbung.

Werber im Erfindungswahn

Werber im Erfindungswahn

Doch damit nicht genug. Die Jung-von-Matt-Werber nutzten die Gelegenheit, um mit der Kampagne gleichzeitig auf sich selbst aufmerksam zu machen. Sie erfanden die Werbeagentur Singvogel + Muchovsky, die vermeintlichen Schöpfer der Gibsnisch-Werbung. "Wir dachten damals, wenn wir schon eine Kampagne mit einem fiktiven Unternehmen starten, dann auch richtig", erinnert sich Wolf Heumann, Kreativchef bei Jung von Matt.

Die frisch gegründete Agentur nutzten die Hamburger für ihre Zwecke. Schließlich würde jeder Werber, der auf die außergewöhnliche Kampagne aufmerksam wird, nach den kreativen Köpfen fragen, die dahinterstehen, so die Überlegung. Jung von Matt baute deshalb auch für Singvogel + Muchovsky eine Homepage, gespickt mit mehr oder weniger interessanten Agenturdetails. Beispielsweise erfährt der wissbegierige Leser hier etwas über den Agenturhund (ein Foxterrier namens Pappe), die Ursache für die Gründung des Unternehmens (deutscher Werbung fehlt es oft an gutem Design) und den Grund, warum Geschäftsführerin Ute Muchovsky im Hamburger Stadtteil Eppendorf lebt (weil es ein bisschen wie Bonn ist).

Trojaner mit Hintergedanken

Wer sich bis zum bitteren Ende auf der Seite durchklickt, gelangt schließlich zu den Stellenanzeigen von Singvogel + Muchovsky. Hier verbirgt sich dann auch der wahre Schöpfer der Webseite: Zwar werden Texter, Art Director und Grafiker pro forma gesucht, doch zugleich erfolgt der Hinweis: "Nichts für Dich dabei? Dann bewirb Dich doch woanders. Zum Beispiel hier." Ein Klick auf die dahinter verlinkte Internetseite führt den Nutzer dann direkt auf die Homepage der Werbeagentur Jung von Matt - die übrigens passenderweise ein Trojanisches Pferd ziert. "Über Singvogel + Muchovsky konnten wir auch auf uns als Arbeitgeber aufmerksam machen", erklärt Heumann einen der Gründe für die Erfindung der Agentur.

So war das ganze Projekt schließlich für alle Beteiligten ein voller Erfolg. Jung von Matt gewann neue Mitarbeiter und den Lead Award. Und Auftraggeber Sixt machte erneut mit einer ungewöhnlichen Imagekampagne auf sich aufmerksam. "Die Webseite Gibsnisch.de wurde innerhalb von vier Wochen etwa 170.000 Mal angeklickt", berichtet Bernd Krämer, Kreativdirektor bei Jung von Matt. Insgesamt hätte rund 1 Prozent der potenziellen Printanzeigen-Leser die Homepage geöffnet. "Bei Werbebannern im Internet liegt diese Klickrate gerade einmal bei 0,5 Prozent", so Krämer.

Und es geht doch günstiger ...

Und es geht doch günstiger ...

Doch Jung von Matt und Sixt waren nicht die Einzigen, die von der Kampagne profitierten. Eine kleine Werbeagentur aus Hamburg, Bruderhartung, reagierte blitzschnell und kreierte für ihren Kunden Starcar - einem im Vergleich zu Sixt winzigen Autovermieter - eine Gegenkampagne. Zehn Tage nach der ersten Veröffentlichung der Sixt-Anzeige war die Webseite Gibsdoch.de online.

Optisch stark an der Homepage des großen Wettbewerbers angelehnt, warb Starcar mit dem Spruch: "Noch günstiger als Sixt". Schließlich hatte die Zeitschrift "Computer Bild" kurz zuvor herausgefunden, dass Starcar im Schnitt rund 47 Prozent billiger als die Konkurrenz ist. Wer allerdings eines der Angebote anklickte, musste ähnlich wie auf der Seite Gibsnisch.de den Zerfall der Webseite mitansehen. Am Ende landete der Nutzer automatisch auf der Homepage des eigentlich werbenden Unternehmens, in diesem Fall Starcar.

"Mit wenig Aufwand konnten wir mit dieser Kampagne viel Aufmerksamkeit für unseren Kunden erreichen", sagt Patrick Hartung, einer der beiden Gründer der Hamburger Werbeagentur. Innerhalb von zweieinhalb Monaten sei die Webseite mehr als 73.000 Mal geöffnet worden.

Juristen ohne Humor

Jung von Matt zeigte sich erfreut über den humorvollen Schlagabtausch. "Wir haben nicht damit gerechnet, dass es eine Gegenkampagne geben wird und vor allem nicht so schnell", erinnert sich Krämer. "Das war ein Kompliment für uns."

Inzwischen haben die Anwälte von Sixt allerdings weniger Humor bewiesen und die Gibsdoch-Erfinder abgemahnt. Die Werbung wurde aus dem Netz genommen, weil es einen Tarif gab, in dem Starcar nicht günstiger war. "Die Abmahnung kam allerdings erst Anfang dieses Jahres, sodass es für die Idee der Kampagne nicht mehr relevant war", erklärt Hartung.

Die Webseite Gibsnisch.de ist dagegen immer noch online. "Noch immer gelangen einige Kunden über irgendeine Verlinkung auf die Seite und damit zu Sixt, warum also sollten wir sie abschalten?" fragt Jung-von-Matt-Geschäftsführer Heumann. Hinzu kommt, dass die kreativen Köpfe derzeit wieder eine neue Kampagne für Sixt planen. Und wer weiß, wozu sie die Homepage noch brauchen …

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