IT-Gipfel Frau Merkel und die IT-Offensive
Potsdam Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gehörte auf dem ersten nationalen IT-Gipfel einer Minderheit an: Nur 16 weibliche Teilnehmerinnen wurden zu der Veranstaltung nach Potsdam eingeladen das waren noch nicht einmal 10 Prozent der rund 220 Gäste aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.
Doch nicht nur diese ungleiche Verteilung, die charakteristisch für die IT-Branche ist, bereitet der Bundeskanzlerin Sorgen. Zu schaffen macht ihr vor allem, dass die Mehrheit der hochmodernen IT-Produkte inzwischen nicht mehr aus Deutschland kommt, sondern aus Asien oder den USA. Und das obwohl der Computer einst in Deutschland erfunden wurde.
Merkel befindet sich deshalb auf der Suche. Auf der Suche nach Antworten auf die Frage, wie der IT-Standort Deutschland gestärkt werden kann und "Made in Germany" auch für deutsche IT-Produkte wieder zu einem Qualitätssiegel wird.
Und wer könnte diese Antworten wohl besser liefern als diejenigen, die direkt von diesem Problem betroffen sind, so Merkels Hoffnung. Aus diesem Grunde hat sie Führungskräfte von verschiedenen IT-Unternehmen in das Hasso-Plattner-Institut (HPI) nach Potsdam geladen, unter anderem den neuen Telekom-Chef René Obermann, Ebay-Deutschland-Chef Stefan Groß-Selbeck und Harald Stöber von Arcor.
Der Veranstaltungsort wurde bewusst gewählt. Ursache für den zunehmenden Wettbewerbsverlust ist schließlich nicht zuletzt auch der Mangel an IT-Fachkräften in Deutschland, vor allem an weiblichen, wie auf dem Gipfeltreffen festgestellt werden konnte. Das von SAP-Mitbegründer Hasso Plattner finanzierte HPI, an dem der IT-Nachwuchs kostenlos unterrichtet wird, ist eine Vorzeigeuniversität hinsichtlich der Ausbildung und der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Doch die Entscheidung für ein vollständig privat finanziertes Institut wirft gleichzeitig ein schlechtes Licht auf die öffentlichen Bildungsstätten des Landes. Es scheint so, als ob sie nicht gut genug für dieses wichtige Prestigeprojekt der Bundesregierung sind.
"In China ist es erlaubt, reich zu werden"
"In China ist es erlaubt, reich zu werden"
Merkel hat die Stärkung des IT-Standorts Deutschland zur Chefsache erklärt. Schließlich liegt die Branche mit einer Bruttowertschöpfung von 90 Milliarden Euro auf Platz eins der Industriesektoren in Deutschland noch vor dem Maschinen- und Automobilbau. Doch international gesehen verlieren deutsche Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Die USA haben am weltweiten IT-Markt einen Anteil von 28 Prozent, Deutschland hält nur magere 6,8 Prozent.
Was also ist zu tun, damit der Standort Deutschland wettbewerbsfähiger wird, fragte Merkel ihre Gäste auf dem Gipfel. Die Antworten der Wirtschaft auf diese Frage waren nicht neu. SAP-Chef Henning Kagermann forderte beispielsweise eine verstärkte Rekrutierung von Toptalenten. "Wir müssen weltweit und offensiv für den Standort Deutschland werben, damit die besten Köpfe zu uns kommen", so Kagermann. Immerhin meldeten über 40 Prozent der IT-Unternehmen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Personal.
SAP-Kollege und Aufsichtsratschef Plattner glaubte, den Grund für das geringe Interesse der jungen Leute an der IT zu kennen: "Es ist in China - wohlgemerkt ein kommunistisches Land - erlaubt, reich zu werden." In Deutschland gebe es dagegen so hässliche Dinge wie die Reichensteuer. "Junge Menschen müssen die Gelegenheit haben, nicht nur erfolgreich, sondern auch reich zu werden", forderte Plattner.
Aus Quaero wird Theseus
Telekom-Chef Obermann sprach sich für die Entwicklung eines Clusters für IP Services aus. Und Ebay-Deutschland-Chef Groß-Selbeck will über den Verein "Deutschland sicher im Netz" kleine und mittlere Unternehmen sowie private Nutzer über die Sicherheit im Internet aufklären.
Die Vertreter der Politik wollten denen der Wirtschaft natürlich in nichts nachstehen. So berichtete Staatssekretär Hartmut Schauerte, der den überraschend abgereisten Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) vertrat, von drei "Leuchtturmprojekten", die gemeinsam von Politik und Wirtschaft entwickelt und umgesetzt werden sollen. Eines davon ist bereits bekannt, trägt allerdings einen neuen Namen: Von dem Projekt Theseus erhofft sich die Bundesregierung die Entwicklung einer effektiveren Suchmaschine, die intuitiv zu bedienen sein soll.
Eigentlich sollte diese Technologie gemeinsam mit Frankreich unter dem Namen Quaero entwickelt werden, doch nun prescht Deutschland allein vor, um schneller und effizienter voranzukommen. "Es herrscht aber keine Funkstille bei diesem Projekt mit Frankreich", bemühte sich Schauerte den Anschein einer Unstimmigkeit zu verhindern.
Pannenserie bei IT-Projekten
Pannenserie bei IT-Projekten
Das zweite Prestigeprojekt der Bundesregierung ist die Entwicklung einer RFID-Dialogplattform (Radio Frequency Identification), auf der sich Wirtschaft und Politik über das künftige Vorgehen bei der Identifikation und Lokalisierung von Produkten via Funk abstimmen. Als Drittes führte Schauerte den Technologiewettbewerb E-Energy an, der eine effizientere Erzeugung, Verteilung und Nutzung von Elektrizität unterstützen soll.
Bisher war der Bund bei der Durchführung solcher IT-Prestigeprojekte allerdings weniger erfolgreich. Die Lkw-Maut wurde aufgrund technischer Probleme über ein Jahr später eingeführt als geplant, die Tücken der Hartz-IV-Software kosteten den Steuerzahler Millionen und die Modernisierung der Bundeswehr-IT (Herkules) wird voraussichtlich eine halbe Milliarde Euro teurer als zunächst angesetzt. Für den Bund ist ein Erfolg der neuen Projekte somit von immenser Bedeutung und die Öffentlichkeit wird mit Argusaugen über die Durchführung wachen.
Neue Schlagworte: "Internet der Dienste und Dinge"
Natürlich dürfen bei der Vorstellung solcher Prestigeprojekte auch neue Schlagworte nicht fehlen. So ist das strategische Ziel von Theseus die Entwicklung einer Dienstleistung für das Internet der nächsten Generation, dem sogenannten Internet der Dienste. Und durch die Funkerkennungstechnologie RFID wird das World Wide Web Schauertes Worten zufolge zu einem Internet der Dinge.
Rund 280 Millionen Euro sollen dafür sorgen, dass sich der Bund nicht noch einmal blamiert. Insgesamt will die Regierung in ihrer Legislaturperiode knapp 1,2 Milliarden Euro für die Forschung im IT-Sektor bereitstellen. Dabei will sich Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) vom sogenannten Gießkannenprinzip abwenden. Vielmehr sollen gezielt bestimmte Projekte gefördert werden, die in einem der vier Wachstumsfelder angesiedelt sind, auf die sich Wirtschaft und Politik in den kommenden Jahren konzentrieren wollen.
Kontrollierende Kanzlerin
Kontrollierende Kanzlerin
Die von der Regierung ausgewählten Zukunftstechnologien sind eingebettete Software, IT-Dienstleistungen, das Zusammenspiel von Technik, Design und Inhalten (Digital Lifestyle) sowie IT-Sicherheit. Damit folgen die Minister nicht ganz der Ansicht des Branchenverbands Bitkom, der vergangene Woche die sechs wichtigsten Zukunftstechnologien vorgestellt hat.
Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich ein hehres Ziel gesetzt: Bis 2012 sollen Transaktionen zwischen Verwaltung und Unternehmen überwiegend elektronisch abgewickelt werden. Zudem soll die Einrichtung von digitalen Bürgerportalen und einheitlichen Telefonservicenummern die Nutzung von öffentlichen Dienstleistungen erleichtern und beschleunigen.
Die Bundeskanzlerin relativiert das Ganze jedoch kurze Zeit später: "Der Bürger sollte zumindest die Auskunft am Telefon bekommen, 'Wenn Sie eine Bundeskompetenz abfragen wollen, drücken sie die Eins, wenn Sie eine Landeskompetenz abfragen wollen, die Zwei, bei einer Anfrage an die Kommune, drücken Sie bitte die Drei'". Über diese bundesweit einheitliche Servicenummer - Medienberichten zufolge soll es sich dabei um die 115 handeln - sollen alle Anfragen der Bürger beantwortet werden.
Bis zum kommenden Jahr, wenn der IT-Gipfel erneut einberufen werden soll, wird diese "Innovation" in der Verwaltung wohl noch nicht umgesetzt sein. Aber die Bundeskanzlerin hat zumindest die Kontrolle der auf dem IT-Gipfel angekündigten Ziele und Maßnahmen angekündigt. "Sie bleiben unter Beobachtung", verkündete sie am Ende der Tagung.