Experten-Chat Reich mit Rechnungen
Willkommen beim Experten-Chat von manager-magazin-online und McKinsey. Die Experten heute: Stefan Sieber, Executive Vice President der LHS Group und Stefan Schmitgen, Co-Leiter Telekom- und Software-Services bei McKinsey.
Das Thema ist in drei Blöcke unterteilt:
1. Neue Marketingchancen durch innovative Rechnungssysteme im Telekommunikationsmarkt,
2. Erweiterung und Rationalisierung der Geschäftsgrundlage durch Convergent Billing und
3. zukünftige Chancen für Start-ups und traditionelle Telco-Unternehmen.
Die Experten werden am Anfang jedes Themenblocks einen kurzen Überblick über die Hauptpunkte geben. Nach jedem Block stehen Ihnen die Experten dann für Fragen zur Verfügung.
Moderator: Herr Sieber, Herr Schmitgen, wenn man über innovative Abrechnungsysteme in der Telekommunikationsindustrie spricht, denn muß man erst einmal verstehen, was mit der traditionellen Abrechnung gemeint ist.
Sieber - LHS: Als der Telekommunikationsmarkt noch reguliert war, gab es nur eine Rechnung für den Festnetzanschluss.
Diejenigen, die auch noch ein Handy besaßen, bekamen eine extra Handy-Rechnung usw. Da aber die Anzahl der verschiedenen Kommunikationsservices nicht so groß war, wurde dieser Nachteil der breiten Bevölkerung gar nicht richtig bewußt.
Moderator: Und heute?
Schmitgen - McKinsey: Durch die Öffnung der Kommunikationsmärkte entstand eine Flut neuer Services. Festnetz- und Mobiltelefonie, Internet, Kabelfernsehen, Pagerservices usw. Gleichzeitig wurden die Kunden anspruchsvoller. Trotz Servicevielfalt wünschen sich die Kunden heute eine einzige, übersichtliche Rechnung.
Innovative Billingsysteme erlauben es einem Kommunikationsunternehmen, die Gebühren für diese verschiedenen Services alle auf einer einzigen Rechnung abzubilden. Das ist das sog. Convergent Billing.
Moderator: Kann diese Art des Billing auch über das Internet laufen?
Sieber - LHS: Aber sicher. Man nennt das dann auch Customer Self Care. Das ist sogar sehr komfortabel für den Kunden. Er kann sich erst einmal die einzelnen Kostenblöcke in ihrer Gesamtheit auf der elektronischen Rechnung anzeigen lassen.
Wenn ihn dann näher interessiert, wie sich z.B. der Kostenblock Mobilfunk zusammensetzt, dann genügt ein einfacher Mouseklick auf Mobilfunk und die Einzelgespräche werden in beliebiger Tiefe angezeigt. Auch die Bezahlung kann natürlich über das Internet laufen.
Schmitgen - McKinsey: Firmen, die diese Art des Billing bereits anbieten, sind z.B. Edify.com oder Checkfree.com.
Sieber - LHS: Kommunikationsunternehmen, die diesen Service anbieten, werden sich langfristig einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten.
Moderator: Wodurch konkret ergeben sich diese Wettbewerbsvorteile?
Schmitgen - McKinsey: Ein Anbieter erhält durch Convergent-Billing-Systeme die Möglichkeit, viele verschiedene Informationen über den Kunden zu sammeln. Dadurch kann er die Angebote deutlich stärker auf die Bedürfnisse einzelner Kundengruppen oder sogar einzelner Kunden zuschneiden.
Aus diesem Grund spricht man auch in einem Atemzug von Customer-Care- und Billing-Solutions (CC&BS).
xyz: Was ist denn so schwierig daran, alles auf eine Rechnung zu setzen?
Sieber - LHS: Die Schwierigkeit besteht in der Synchronisation der unterschiedlichen Abrechnungszeiträume einerseits sowie der unterschiedlichen Datenformate andererseits.
Schmitgen - McKinsey: Viele Telekom-Unternehmen haben zudem alte EDV-Systeme, die unflexibel sind und eine Zusammenführung der Rechnung nicht erlauben.
xyz: Was habe ich davon, alles auf einer Rechnung stehen zu haben?
Sieber - LHS: Die Rechnung ist ja nur das Kommunikationsmittel mit dem Kunden, der letzlich alle diese Services aus einer Hand bekommt.
Auch die Preis- und Konditionenpolitik kann besser gesteuert bzw. innovativer gestaltet werden. Z.B. wäre es rein theoretisch denkbar, Paket- oder Koppelproduktrabatte anzubieten.
Moderator: Was versteht man unter Paket- oder Koppelproduktrabatten?
Sieber - LHS: Beispielsweise wäre es denkbar, daß der Kunde einen Rabatt auf den Gesamt-Umsatz erhält, egal ob dieser Umsatz mit Mobilfunk, Festnetz oder Internet erzeugt wird.
Schmitgen - McKinsey: Dadurch steigt das Cross Selling Potential ganz erheblich. Gleichzeitig sinkt aber auch die Wahrscheinlichkeit, Kunden zu verlieren. Man kann mit attraktiveren Angeboten aufwarteten und auch das Kundenverhalten besser beobachten.
Sieber - LHS: Man sollte eigentlich die Vorteile dieser Systeme nicht nur auf die Kommunikationsbranche beschränken. Customer-Care- und Billing-Systeme bzw. Customer Relationship Management, also CRM, ist in fast jeder Industrie wichtig.
Um so mehr natürlich, je komplexer die Schnittstelle zum Endkunden ist. Schätzungen besagen, dass sich der Markt für CRM Services allein in Europa bis 2003 versiebenfachen wird.
Die Chancen, die in diesem Markt liegen, sind riesig. Das beweisen auch die jüngsten Erfolge von Unternehmen wie Siebel oder Vantive.
Günter: Verkauft LHS nur Software oder schreibt es auch selber Rechnungen?
Sieber - LHS: Die Software von LHS wird in der Regel vom Operator betrieben, kann aber auch im Outsourcing zum Rechnungsstellen genutzt werden.
alex: Spielen alle Anbieter von Telekommunikationsdiensten mit? Schließlich geben sie dadurch wichtige Unternehmensdaten nach draussen.
Schmitgen - McKinsey: Telekomunternehmen werden letztendlich dazu gezwungen, da die Kundenschnittstelle von Infrastrukturleistungen entkoppelt wird.
Sieber - LHS: Der Vorteil dieser Entkopplung besteht in einer größeren Marktpenetration, und damit werden Kapazitäten optimal genutzt und vermarktet.
G&P-Fraktion: Wie schätzen Sie die Chancen von externen Clearing-Häusern in der Intercarrier-Offline-Abrechnung ein?
Sieber - LHS: Seit der GSM-Einführung gibt es diese unabhängigen Clearing-Häuser, die sehr erfolgreich arbeiten, z.B. Dannet.
Moderator: Gibt es nicht auch Nachteile des Convergent Billing?
Sieber - LHS: Natürlich kann dadurch eine Informationsflut zum Kunden entstehen, die ihn vor eine große Entscheidungsvielfalt stellt. Gelöst wird das Problem dadurch, dass die Serviceanbieter Gesamtpakete schnüren, in denen diese Dienste bereits enthalten und im Paket günstiger sind als Einzelservices.
Tilman: Kann man andere Dienstleistungen wie z.B. Strom, Wasser und die Kreditkartenrechnung nicht auch auf die Rechnung mit dazu listen?
Schmitgen - McKinsey: Natürlich ist es denkbar, es wird z.B. auch schon gemacht durch EnergyOne in den USA.
Moderator: Wie muß man sich das vorstellen? Kauft sich ein ehemals auf Telekommunikation spezialisiertes Unternehmen dann noch ein Kraftwerk dazu und bietet Strom an?
Sieber - LHS: Nicht ganz. Wie auch im Telekommunikationsmarkt findet im Energiemarkt eine Deregulierung statt. Im Zuge dieser Deregulierung treten viele neue Wettbewerber in den Markt ein, die nicht über ein eigenes Netz verfügen, sondern nur mit den Kapazitäten handeln.
Moderator: Haben Sie dafür ein Beispiel?
Schmitgen - McKinsey: Denken Sie an den Telekommunikationsmarkt. Die Telekom rechnet für viele neue Anbieter die Gebühren mit ab.
Darüber hinaus betreiben viele davon ihr Geschäft, ohne ein Leitungsnetz zu besitzen. Mobilcom z.B. startete als klassischer Händler von Telefonminuten. Bei Strom kann das genauso der Fall sein.
Karl: Wie groß ist denn das Marktvolumen für solche Abrechnungssysteme?
Sieber - LHS: Nach unseren Einschätzungen steigt das Marktpotential bis zum Jahre 2002 auf etwa 11 Mrd. US $ weltweit.
alex: Welche Vorteile verspricht sich gerade die Deutsche Telekom davon, andere Betreiber mit auf einer Rechnung stehen zu haben?
Sieber - LHS: Erhöhte Kundenbindung.
Schmitgen - McKinsey: Außerdem bleibt ihr aus Regulierungsgründen keine andere Wahl.
Moderator: Wenn mehrere Services in einer Rechnung zusammengefaßt werden, könnte man sich dann folgendes Modell vorstellen:
Es bildet sich eine Art Service Megadealer heraus, der als eine Art persönlicher Einkaufsberater fungiert und von dem ich dann eine Rechnung bekomme?
Schmitgen - McKinsey: An so etwas könnte man denken. Im sogenannten Infomediary-Konzept wird genau dieser Gedanke aufgegriffen. Grundidee ist, dass der Kunde einem Anbieter (dem Infomediary) ein detailliertes Kundenprofil zur Verfügung stellt.
Der Infomediary, der ja die Kundenwünsche genau kennt, sucht dann aus dem gesamten Marktangebot genau die Services und Produkte aus, die auf das Kundenprofil passen.
Sieber - LHS: Es gibt bereits heute sogenannte Audience Brokers.
Sie screenen Web Sites und stellen fest, welches Publikum sich auf den einzelnen Web-Sites vorwiegend bewegt. Diese Informationen verkaufen sie an die Anbieter, die damit ihre Werbung gezielter platzieren können.
Pizza: Rechnungen schreiben und verschicken als Geschäftsidee für ein eigenes Unternehmen?
Sieber - LHS: Das besteht heute schon und macht viel Sinn, wenn man diese Rechnungen auch mit der gesamten Finanzverwaltung verbindet.
Schmitgen - McKinsey: Ein Beispiel: checkfree.com.
Moderator: Welche Chancen ergeben sich für Start-ups durch diesen neuen Trend?
Schmitgen - McKinsey: Es besteht z.B. die Möglichkeit sich als eine Art Einkaufsberater, den vorher erwähnten Infomediary, zu etablieren.
Sieber - LHS: Auch junge Unternehmen, die noch keine Kundenbasis besitzen, können eine Art Megadealer werden.
Im Fall amazon.com hat man gesehen, wie schnell auch junge Unternehmen eine Marke und damit eine breite Kundenbasis aufbauen können. Wichtig ist nur, daß die Kundenbeziehung von Vertrauen geprägt ist.
chatty: Welche Billing Services sind geeignet, um Privat-Kunden an kleine Newcomer zu binden?
Sieber - LHS: Internet mit Content.
chatty: Billing-Services? Wo gibt es denn bei der Rechnung Contents?
Sieber - LHS: Content heißt z.B. Shopping über das Internet - also eine Ware oder Dienstleistung, die über das einfache Besuchen einer Webpage hinausgeht.
Moderator: Uns erreichen viele Fragen zum Thema Start-ups. Herr Schmitgen, man spricht momentan von einer regelrechten Gründerwelle in Deutschland. Gilt das auch für den Telekommunikationsmarkt?
Schmitgen - McKinsey: Grundsätzlich beobachten wir in allen Bundesländern Gründungsoffensiven. Es gibt Gründer- und Innovationswettbewerbe, Gründertage und Gründerkongresse.
Von den 150 am neuen Markt gelisteten Unternehmen sind zwar nur ca. 5% aus dem Bereich Telekommunikation. Bedenkt man aber, daß der deutsche Telekommunikationsmarkt erst seit 1998 dereguliert ist, dann ist die Zahl doch recht beachtlich.
krause: Woher bekomme ich als Gründer Finanzierung? Gibt es staatliche Förderprogramme?
Schmitgen - McKinsey: Es gibt derzeit ausreichend Venture Capital neben den staatlichen Förderprogrammen im Markt.
Sieber - LHS: ...auch LHS ist mit Venture Capital groß geworden.
stef: Ist es in Deutschland eigentlich schwieriger als in anderen Ländern, ein Start Up zu gründen: zuviel Bürokratie, zuwenig Unterstützung, Unternehmer werden nicht hoch angesehen?
Schmitgen - McKinsey: Das stimmt so nicht mehr ganz. Im europäischen Vergleich ist Deutschland gerade bei der Finanzierung von Early Stage Ventures vorne mit dabei.
krause: Tja, aber wie sieht es mit Later Stage aus? Wie viele im Early Stage finanzierten Unternehmen schaffen es eigentlich an die Börse bzw. an den Neuen Markt?
Schmitgen - McKinsey: Nach unseren Recherchen etwa 10 bis 20 Prozent.
krause: Wenn ich Venture Capital haben möchte, wie wähle ich dann meinen Venture Capitalist aus?
Schmitgen - McKinsey: Wichtig ist vor allem, daß der Venture Capitalist neben dem Kapital genügend Coaching-Zeit zur Verfügung stellt. Aus unserer Erfahrung bei McKinsey wissen wir, dass dies bei kleineren VC´s eher der Fall ist als bei großen.
bach: Und nach welchen Kriterien suchen sich Venture Capitalists die von ihnen geförderten Unternehmen aus?
Schmitgen - McKinsey: Sie sollten auf jeden Fall einen soliden Businessplan vorlegen, der mit fundierten Zahlen unterlegt ist. Venture Capitalists investieren vorwiegend in Wachstumsmärkte. Sie sollten den Wettbewerbsvorteil Ihres Produktes oder Services besonders herausstellen. Außerdem schauen sich die VC´s auch an, wie Sie als Unternehmerpersönlichkeit wirken, wie motiviert Ihr Team ist usw.
klara: Herr Sieber: Hatte LHS Management-Unterstützung bei der Gründung?
Sieber - LHS: Nein, da die Gründung von ehemaligen Kollegen bei IBM stattfand.
krause: Herr Sieber, unterstützt LHS junge Gründer mit Know How, das LHS selbst in seiner Gründerzeit gesammelt hat?
Sieber - LHS: Ja, in Form einer möglichen technischen Zusammenarbeit.
Günter: Kann ich mir denn als Gründer auch eine McKinsey-Beratung leisten?
Schmitgen - McKinsey: Hier gibt es eine speziell auf junge Unternehmen zugeschnittene Formen der Zusammenarbeit. Unsere New Venture Practice steht gern als Ansprechpartner zur Verfügung.
Günter: Muss ich dann Unternehmensanteile abgeben?
Schmitgen - McKinsey: Das kann eine mögliche Form der Zusammenarbeit sein.
bach: Herr Sieber, als LHS nach USA ging, mit welchen Schwierigheiten hatten Sie da zu kämpfen?
Sieber - LHS: Mit der Sprache... Spaß beiseite: Mit der Akzeptanz im amerikanischen Börsenkreis, als nicht etabliertes amerikanisches Unternehmen.
Heike: Lohnt es sich für Gründer, in die USA zu gehen?
Sieber - LHS: Rein finanziell gesehen: nicht unbedingt. Das Angebot an Venture Capital ist in Deutschland inzwischen vergleichbar.
Schmitgen - McKinsey: Unternehmen, die schnell internationalisieren, haben aber nach unseren Erfahrungen mittel- und langfristig viel höhere Erfolgschancen.
bach: Wie lange sollte ich als deutscher Start-up warten, bis ich an Globalisierung denke?
Schmitgen - McKinsey: Am besten sofort mit der Globalisierung starten - wenn die Voraussetzungen stimmen.
SvenK: Soll ich als Gründer gleich mit dem Weltmarkt rechnen?
Schmitgen - McKinsey: In der Softwarebranche auf alle Fälle.
krause: Hat McKinsey als traditioneller Berater etablierter großer Unternehmen denn das richtige Know How, um kleine Start-ups zu beraten?
Schmitgen - McKinsey: Unser New Venture Team macht das schon seit geraumer Zeit.
Und: grundsätzlich stellen sich heute bei den Gründern bereits ähnliche strategische Fragen wie bei etablierten Unternehmen.
Moderator: Wir müssen jetzt leider Schluß machen, auch wenn noch einige Fragen unbeantwortet geblieben sind. Vielen Dank Herr Sieber und Herr Schmitgen für die interessanten Informationen. Vielen Dank auch an die zahlreichen Chat-Gäste im Netz.
Der nächste Chat findet am 22. September wieder zwischen 19 und 20 Uhr statt. TelDaFax- Finanzvorstand Henning F. Klose und Dieter Düsedau von McKinsey diskutieren, welche Technologien in Zukunft den Telekommunikationsmarkt dominieren wird und welche Auswirkungen dies auf die Industriestruktur des Telekommunikationsmarktes haben könnte.