Digital Diskriminierte Arme Offliner

Wer keinen Internetanschluss hat, ist im Nachteil: Weniger Infos, weniger Sonderangebote und auch der Zugang zu Ebay, Wikipedia und Billigfliegern bleibt verschlossen. Das ist schlimm, sagen deutsche Akademiker und legitimieren ihr berufliches Dasein mit fragwürdigen Studien über Info-Eliten und digital Unterprivilegierte.

Marl/München - Ein Leben ohne Internet können sich viele PC-Anwender gar nicht mehr vorstellen: Bankgeschäfte, Reisebuchungen oder Ticketbestellungen wie für die Fußballweltmeisterschaft werden heute zunehmend online abgewickelt.

Dennoch ist ein Internetzugang in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Ein großer Teil der Bevölkerung ist immer noch offline - mit allen negativen Konsequenzen: Wer nicht "drin" ist, zahlt bei vielen Dienstleistungen drauf und bleibt von zahlreichen Angeboten ausgeschlossen.

"Durch die Kluft zwischen Onlinern und Offlinern werden auch die traditionellen sozialen Gräben in der Gesellschaft vertieft", sagt Gernot Gehrke, Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Medienkompetenz in Marl, das die Rolle des Internets im Projekt Digitale Teilung  untersucht hat. Hätten Internet-Fans das Netz früher als Integrationsmedium gepriesen und sich von ihm größere Chancengleichheit erhofft, zeige sich heute, dass Randgruppen dadurch teilweise noch stärker ausgrenzt werden.

Arme Unterprivilegierte

So hänge die Internetnutzung zum einen vom Einkommen ab, erklärt Frank Wagner vom Meinungsforschungsinstitut Infratest in München, das jedes Jahr den Nonliner-Atlas herausgibt. Demnach waren im Jahr 2004 drei Viertel aller Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen über 3000 Euro online, unterhalb der Grenze von 1000 Euro jedoch nur knapp 30 Prozent. Gerade sozial Schwächere sind daher laut Wagner durch die Internetverbreitung benachteiligt.

Zudem spiegele sich die Bildungskluft in Deutschland klar in den Nutzergruppen des Internets, sagt Jutta Croll, Geschäftsführerin der Stiftung Digitale Chancen  in Berlin. So waren Infratest zufolge im vergangenen Jahr drei von vier Studenten und Abiturienten im Netz aktiv, während Hauptschulabsolventen zu 57 Prozent offline blieben. Diese hätten dadurch auch Nachteile auf dem Arbeitsmarkt. "Der Vorsprung der Info-Elite wächst durch die Internetnutzung", so Croll.

Ähnliches gelte oft auch in Bezug auf Arbeitslose und Ausländer, sagt Institutsleiter Gehrke. Unter den Arbeitslosen beispielsweise waren laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2004 insgesamt 44 Prozent ohne Internetzugang. Dadurch fänden sie nicht nur weniger Stellenangebote. Bei der Jobsuche könne PC- und Interneterfahrung heute eine Schlüsselqualifikation sein, sagt Gehrke.

Staates Wille verpufft wirkungslos

Staates Wille verpufft wirkungslos

Auch insgesamt hinkt das Wachstum der Webgemeinde in Deutschland den Zielen der Politik noch hinterher. So hatte sich die Regierung in ihrem Aktionsprogramm "Informationsgesellschaft 2006" vorgenommen, 75 Prozent der Bevölkerung bis 2005 an das Netz heranzuführen. 2004 lag die Quote jedoch erst bei 58 Prozent, und Studien zufolge wächst die Internetverbreitung inzwischen sogar langsamer. International liegt Deutschland damit nur im Mittelfeld bei der Internetnutzung.

In einigen Bereichen zeichnen sich jedoch auch positive Trends ab. So gehören Senioren grundsätzlich zwar immer noch zu den Außenseitern in der Netzgemeinde, inzwischen legen diese dem Statistischen Bundesamt zufolge aber überdurchschnittlich zu. "Das Bild vom technikfremden Rentner trifft heute auf viele Senioren nicht mehr zu - auch ältere Menschen interessieren sich zunehmend für die virtuelle Welt", sagt Ute Kempf vom Kompetenzzentrum Frauen in Informationsgesellschaft und Technologie in Bielefeld, die die Aktionen "50plus-ans-Netz.de" und "Frauen-ans-Netz.de" betreut.

Ähnlich erfreulich sei die Entwicklung bei den Frauen: Hier zeigen die Statistiken, dass junge Frauen mit ihren männlichen Altergenossen bei der Internetnutzung inzwischen gleichauf liegen oder diese sogar schon überholt haben. Auch zwischen Ost- und Westdeutschland gleichen sich die Zahlen immer mehr an.

Hilfe, wem Hilfe gebührt

Damit Offliner leichter Anschluss an die Netzwelt finden, benötigten sie zum einen Einsteiger-Projekte für Technik-Laien, sagt Infratest-Sprecher Wagner. Denn die größte Barriere sei für viele immer noch der PC. Zudem seien für diese Zielgruppe vor allen Dingen mehr maßgeschneiderte Inhalte nötig, sagt Kempf.

Gerade für Senioren sei die Anschaffung eines Webzugangs kein Automatismus, man müsse ihnen etwas für ihre speziellen Bedürfnisse bieten. Auch für den weiblichen Geschmack gebe es zu wenig Seiten: So stehe im Netz das Thema Auto an erster Stelle - eher ein männertypisches Thema.

Neben dem passenden Anschluss fehle es vielen Nutzern aber auch an der nötigen Medienkompetenz, um wirklich vom Internet profitieren zu können, sagt Institutsleiter und Medienmoralist Gehrke. Wer wie viele Jugendliche das Netz bloß zum Spielen und Musik hören nutze, den bringe es nicht unbedingt weiter. "Drin" sein allein sei eben nicht alles - man müsse auch etwas Sinnvolles mit dem Internet anzufangen wissen.

Tobias Schormann, dpa

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