Media Center Invasion der Kuschel-PCs
Hamburg - Schon seit Jahren propagieren Computerhersteller den "digitalen Lifestyle". Der PC soll ins Wohnzimmer, der VHS-Videorecorder dagegen auf den Sperrmüll, und am besten der Fernseher gleich hinterher. Dann hätten die Kunden einen Grund, sich einen schicken Flachbildschirm oder gar einen Plasma-Fernseher zu kaufen. Der Konjunktur täte es gut.
Das Wohnzimmer rückt immer stärker in den Fokus der PC-Branche. Nicht zuletzt, weil die Umsätze mit herkömmlichen PCs tendenziell stagnieren, während die Geschäfte rund um digitales Entertainment noch echtes Wachstum versprechen.
Vielen Ständen auf der Cebit hauchen die Aussteller deshalb kuschelige Wohnzimmer-Atmosphäre ein. Der "digitale Lifestyle" soll vom Sofa aus erlebt werden. "Um das Aufstellen von Sofas, Sitzecken, Kommoden und Fernseher wird kaum ein Unternehmen herumkommen", sagt Christian Anderka von Intel. Der weltgrößte Chiphersteller wird zwei Drittel seiner Präsentationen dem digitalen Zuhause widmen.
Loungen mit Microsoft
Auch Microsoft setzt auf Lounge-Feeling und wird einen großen Stand ausschließlich seinen Entertainment-Lösungen widmen. Auf dem "Erlebnisstand" in Halle 2 (B 34) dürfen Besucher mit dem Media Center 2005 spielen sowie mobile Musik-Player und Tablet-PCs ausprobieren.
Ein Highlight soll die voll digital ausgerüstete Dreizimmer-Musterwohnung auf dem Messestand werden. "Da werden sicher noch mehr Leute kommen als im Vorjahr an unserem Stand in Halle 1", sagte Microsoft-Manager Armin Cremerius-Günther. Damals hatte das Unternehmen mit Ikea-Möbeln eine große Lounge aufgebaut, in der Media Center PCs verschiedener Hersteller zum Zappen einluden.
Das Media Center 2005 zählt in jedem Fall zu den gelungensten Software-Lösungen für Wohnzimmer-PCs, zumindest was Programmdesign und Bedienung betrifft. Ein Nachteil der Media-Suite ist die fehlende Videoschnittfunktion. Aufgenommene Filme lassen sich deshalb nicht von den Werbepausen befreien.
Abstürze nicht ausgeschlossen
Hitachi zeigt sich in Sachen Werbung weniger zimperlich und stellt drei neue digitale Videorecorder vor, die Werbepausen automatisch erkennen und überspringen sollen. Die Arbeit übernimmt ein spezieller Chip, der Reklame unter anderem an der schnellen Schnittfolge und der gesteigerten Lautstärke erkennt.
Die Geräte mit 80, 160 oder 250 Gigabyte Festplatte verfügen zusätzlich über einen DVD-Brenner zum Archivieren der Aufnahmen und sind ab 550 Euro zu haben (DV-DS81E mit 80 Gigabyte: 550 Euro, DV-DS161E mit 160 Gigabyte: 650 Euro, DV-DS251E mit 250 Gigabyte: 750 Euro).
Sony fährt in Sachen Heim-PC seinen eigenen Film. Der neue Vaio Desktop RZ-304 - laut Sony "das Flagschiff der Desktop PC" - soll gar nicht in Wohnzimmern, sondern wie gehabt auf dem Schreibtisch stehen und dort zum Arbeiten, Surfen und Spielen einladen. Über Ethernet oder W-Lan versorgt der PC jedoch den so genannten Network Media Receiver - eine kleine Box, an die Fernseher und Stereoanlage angeschlossen sind. So finden eigene Videos, TV-Mitschnitte, MP3s oder Diashows doch ihren Weg in die gute Stube, und der PC versteckt sich im Nachbarzimmer.
Siemens ist mit dem Gigaset M740 AV ebenfalls ins Heimunterhaltungsgeschäft eingestiegen. Die kleine, schon Ende 2004 präsentierte Set-Top-Box hat einen DVB-T-Twin-Tuner an Bord, so dass man ein Fernsehprogramm aufzeichnen und gleichzeitig ein zweites anschauen kann. Dazu ist allerdings eine zusätzliche externe Festplatte mit USB-Anschluss nötig. Alternativ kann man die Set-Top-Box via Ethernet oder Wlan mit dem eigenen PC verbinden und dann die Aufnahmen auf dessen Festplatte streamen. Umgekehrt lassen sich auch MP3s oder Fotos von der Set-Top-Box aus abrufen.
Abstürze nicht ausgeschlossen
Die Liste von neuen Media-Center-Lösungen ließe sich beliebig fortsetzen. Dass Media Center bald Videorecorder und CD-Player verdrängen werden, ist sehr wahrscheinlich. Die Frage ist nur, ob es gleich ein kompletter PC sein muss, oder ob das Konzept einer Set-Top-Box mit Festplatte das bessere ist.
Problematisch ist auf jedem Fall, dass derzeit eine Flut von Media Centern über die Konsumenten hereinbricht. Viele Lösungen müssen kompliziert konfiguriert werden, bevor der digitale Lifestyle zelebriert werden kann - Abstürze nicht ausgeschlossen.
Damit sich die Systeme unterschiedlicher Hersteller untereinander verstehen, haben sich fast 200 Firmen zur Digital Living Network Alliance (DLNA) zusammengeschlossen, darunter Microsoft, Sony, Samsung, Intel, Panasonic und Philips. Vom Prinzip einer Hifi-Anlage - Zusammenstecken, Anschalten, Läuft - sind die heutigen Media Center oft noch weit entfernt.
Das gibt selbst Microsoft-Gründer Bill Gates unumwunden zu: "Wir müssen noch hart arbeiten, um die Software-Schnittstellen zu vereinheitlichen und eine gemeinsame Plattform zu schaffen."
Holger Dambeck