Auslagern oder besser selbst machen? Susan Unger, Chief Information Officer von DaimlerChrysler, erläutert im Gespräch mit manager-magazin.de die Bedeutung der IT für den Automobilkonzern und schildert ihre Bedenken beim Outsourcing.
DaimlerChrysler designt, baut und vermarktet Autos und Trucks. Wozu braucht so ein Konzern eigentlich eine riesige eigene IT-Abteilung?
Unger: Ohne die Informationstechnologie könnten wir überhaupt nicht funktionieren. Sie hält alle Abläufe unserer weltweiten Organisation in Gang - von der Produktion bis zu unseren Händlern.
mm.de: Wie das?
Unger: Nehmen Sie beispielsweise unsere Ingenieure. Seit sie moderne Entwicklungs- und Konstruktionssoftware einsetzen (CATIA) hat sich die Entwicklungszeit für ein neues Fahrzeug deutlich verkürzt.
mm.de: Und wie verbessert IT die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen?
Unger: Mit Hilfe der Digitalen Fabrik haben wir zum Beispiel den gesamten Produktentwicklungsprozess digitalisiert. Dadurch können die Entwicklungs- und Produktionsingenieure frühzeitig gemeinsam überprüfen, ob sich etwa eine bestimmte Designidee überhaupt später in der Produktion realisieren lässt.
Unger: Wir konnten bei der Produktionsplanung bis zu 30 Prozent Zeit einsparen. Bei der Entstehung der neuen S-Klasse etwa hatten die Entwickler ein Bauteil vorgesehen, das der Arbeiter nur einbauen konnte, wenn er in den Kofferraum krabbelt. Am Bildschirm konnten sie sehen, wie sich das virtuelle Männchen verrenken musste. Die Idee wurde blitzschnell geändert.
mm.de: Nutzen schon alle DaimlerChrysler-Firmen diese neue Technologie?
Unger: Die Integration des gesamten Prozesses von der Entwicklung hin bis zur Wartung des fertigen Wagens haben wir bei Mercedes bereits eingeführt. Bei Chrysler und den Nutzfahrzeugen sind die Projekte gestartet. Bis der gesamte Lebenszyklus unserer Produkte überall digitalisiert ist, dauert es aber noch ein paar Jahre.
"Komplett-Outsourcing ist ein Fehler"
mm.de: Wird Ihr Vorstandschef Jürgen Schrempp da nicht ungeduldig?
Unger: Nein, ich berichte ja direkt an ihn. Und er sieht unsere Erfolge. Denn durch die digitale Simulation sparen wir Geld, erhöhen die Qualität und steigern das Tempo.
mm.de: Hilft IT einem Automobilkonzern auch bei Innovationen?
Unger: Natürlich. Bei den Nutzfahrzeugen zum Beispiel haben wir eine Art Suchmaschine entwickelt, die ähnliche Bauteile bei allen Trucks all unserer Marken identifiziert. So lässt sich in Sekundenschnelle herausfinden, ob eine benötigte Komponente noch entwickelt werden muss oder bereits existiert. Dadurch sparen wir Zeit und Kosten.
mm.de: Aber könnten Sie solche neuartigen Produkte nicht bei IT-Experten einkaufen?
Unger: Wir arbeiten ja eng mit Softwareherstellern oder Dienstleistern zusammen. Die Teilesuche haben wir mit der Münchener Firma sd&m entwickelt. Aber meine weltweit rund 5000 Leute kennen unser Unternehmen und unsere Produkte eben besser als jeder andere und leisten deshalb Großartiges.
mm.de: Sie halten offenbar nicht viel von Outsourcing?
Unger: Ich denke jedenfalls, dass es ein großer Fehler ist, seine gesamte IT auszulagern. So ein Komplett-Outsourcing war ja vor Jahren unheimlich in Mode. Aber fast jeder einzelne Deal ging daneben. Die Firmen verloren wichtiges Know-how und wurden zur Geisel ihres Dienstleisters.
Unger: Sogar eines aus unserem eigenen Hause. Als Smart gegründet wurde, haben wir die gesamte IT an einen Dienstleister gegeben. Der Deal war nicht besonders erfreulich - mangelnde Qualität, die Kosten außer Kontrolle. Teilweise hatte Smart sogar Probleme damit, die Wagen zu den Händlern zu bringen. Unter der Federführung von Eberhard Cluss - dem IT-Chef der Mercedes Car Group - haben wir die Smart-IT dann wieder ins Haus geholt und bei Mercedes betrieben. Seither klappt alles prima und die Kosten sind um die Hälfte gesunken.
mm.de: Also Finger weg vom Outsourcing?
Unger: Nein, niemand kann alles allein machen. Die Autoindustrie ist das beste Beispiel. Vor 100 Jahren haben wir noch unseren Stahl selbst gegossen. Heute steuern wir ein Netzwerk von hunderten spezialisierter Zulieferer und konzentrieren uns nur noch auf unsere Kernkompetenzen - die Entwicklung, die Produktion, den Verkauf und den Service unserer Autos.
"Den besten IT-Dienstleister wählen"
mm.de: Und in der IT funktioniert das System genauso?
Unger: Jawohl, unsere Kernaufgaben halten wir in der eigenen Hand, und für alles andere beschäftigen wir Dienstleister.
mm.de: Welche IT-Aufgaben würden Sie niemals an Externe vergeben?
Unger: Auf jeden Fall brauchen Sie Leute, die strategisch denken und für die verschiedenen Geschäftsbereiche eine Beraterfunktion übernehmen. Wichtig sind gute Projektmanager, die das Geschäft und die Prozesse verstehen und IT-Experten für die Systemintegration - eine immer größer werdende Herausforderung. Und natürlich die erstklassigen Programmierer, die sich um strategische Themen kümmern. Wer diese Leute rausgibt, endet im Desaster.
mm.de: Was lagern Sie aus?
Unger: Grundsätzlich geeignet sind alle standardisierbaren Aufgaben wie der Betrieb von Rechenzentren. Aber selbst die geben wir nicht automatisch an Dienstleister raus. Stattdessen vergleichen wir deren Angebote ganz exakt mit unseren hausinternen Kosten. Nur wenn der Externe deutlich günstiger ist oder bessere Lösungen offeriert als unsere eigenen Kräfte, sourcen wir aus.
mm.de: Wer schafft denn diese Hürde?
Unger: Der Sprung ist in der Tat nicht einfach. Wir sind sehr vorsichtig, holen uns Referenzen von jedem Anbieter ein. Denn auch im IT-Services-Markt gibt es ziemlich gute Verkäufer. Die versprechen Ihnen das Blaue vom Himmel.
mm.de: Es scheint ja fast unmöglich zu sein, mit Ihnen ins Geschäft zu kommen.
Unger: Ach was, wir haben viele verschiedene Lieferanten, und wir profitieren stark von deren Know-how. Spezialisierte IT-Anbieter verfügen über tolle Labors, entwickeln innovative Ideen.
mm.de: Die Zusammenarbeit mit IT-Servicefirmen funktioniert offenbar nicht immer so brillant. Ihr Projekt "PC Global", bei dem Sie den weltweiten Einkauf und die Wartung all Ihrer PCs an Hewlett-Packard outsourcen wollten, gilt als das schwierigste Outsourcing-Projekt Ihrer Karriere.
Unger: Also ich habe nur die besten Erinnerungen an das Pilotprojekt mit HP. Wir haben beide viel gelernt - etwa die Tatsache, dass kein einziger Dienstleister einem Weltkonzern wie DaimlerChrysler in 130 Ländern erstklassigen Service liefern kann. Deshalb sind wir in Bezug auf den Service beim regionalen Ansatz geblieben, bei dem die Länderchefs vor Ort den besten Dienstleister wählen.
"IT-Ausgaben unter Kontrolle halten"
mm.de: Haben Sie durch PC Global außer Erfahrung noch etwas gewonnen?
Unger: Ja, wir haben Softwareausstattung und -verteilung für unsere weltweit 160.000 PCs standardisiert. Außerdem haben wir unsere Anforderungen an Hard- und Software vereinheitlicht. So können wir in größeren Mengen einkaufen und besser Preise vergleichen. Dadurch haben wir 25 Prozent unserer Ausgaben für die PC-Systeme eingespart.
mm.de: Kosten zu senken, scheint heute ja die wichtigste Aufgabe eines CIO zu sein. Wie hat sich denn das IT-Budget von DaimlerChrysler in den vergangenen Jahren entwickelt?
Unger: Unsere Ausgaben haben wir in etwa stabil gehalten. Allerdings steht Kostenreduktion für mich nicht im Mittelpunkt meiner Arbeit. Für mich ist IT eine Investition, und die sollte man in den richtigen Gebieten tätigen.
mm.de: Die da wären?
Unger: Alles was unser Geschäft nach vorne bringt. Dann zahlen sich die Ausgaben aus.
mm.de: Einen Beweis bitte.
Unger: Gerne. In der Automontage bei Chrysler müssen die Arbeiter die verschiedensten Löcher in die Karosserie bohren. Wenn sie die Bohrmaschine an die falsche Stelle setzen dann ist der Wagen unbrauchbar. Wir haben deshalb ein System entwickelt, das der Bohrmaschine automatisch sagt, welches Modell als nächstes auf dem Band ankommt und wo welche Löcher hingehören. So sank unsere Fehlerquote von 50 auf null Fahrzeuge pro Monat.
mm.de: Qualität und Innovation gehen Ihnen also vor Kosten?
Unger: Die IT-Ausgaben unter Kontrolle zu halten, gehört natürlich zu meinen wichtigsten Aufgaben. Deshalb suchen wir auch weltweit nach den besten Anbietern.
mm.de: Welche Rolle spielt dabei das so genannte Offshoring - also die Verlagerung von IT-Ausgaben in Billiglohnländer?
Unger: Wir arbeiten mit Offshoring-Firmen in Osteuropa, Indien, Kanada und Mexiko zusammen. Für einen globalen Konzern wie uns mit Kunden auf der ganzen Welt ist es doch nur natürlich, diese Kostenvorteile zu realisieren.
"Sie müssen ganz viel Geduld haben"
mm.de: Viele andere deutsche Unternehmen würden auch gerne die riesigen Einkommensunterschiede etwa zu Indien nutzen. Sie fürchten jedoch das Risiko.
Unger: Wir haben nur gute Erfahrungen gemacht. Aber um Erfolg zu haben, müssen Sie ein paar Grundregeln beachten - wie übrigens bei jedem Outsourcing-Deal.
mm.de: Klären Sie uns auf?
Unger: Erstens, Sie müssen Ihre Prozesse kennen und sie sauber dokumentieren. Vergeben Sie niemals ein Chaos an einen Dienstleister. Er wird es nicht in Ordnung bringen können. Zweitens, haben Sie Geduld. Eine Zusammenarbeit wächst langsam. Mindestens ein halbes Jahr lang müssen Sie eine Parallelorganisation im Haus aufrechterhalten, um den Betrieb zu garantieren. Das kostet erstmal doppelt, zahlt sich aber auf lange Sicht aus.
mm.de: Klingt ziemlich abschreckend.
Unger: Deshalb brauchen Sie dringend einen internen Fürsprecher für das Projekt. Und einen Kontaktmann, der den Dienstleister in Ihre Organisation integriert und später seine Leistungen überwacht. Dazu müssen Sie klare und messbare Kriterien aufstellen und deren Einhaltung einfordern.
mm.de: Und wie gehen Sie mit Ihren Mitarbeitern um, die durch Outsourcing oder Offshoring ihre Aufgabe verlieren?
Unger: Früher arbeiteten viele meiner Leute nicht an strategischen Themen. Unsere eigenen Mitarbeiter sollten sich aber nur mit hochwertigen Inhalten beschäftigen. Deshalb bilden wir diejenigen, deren Aufgaben durch Dienstleister übernommen wurden, weiter und konzentrieren sie in einem Ressourcenpool für Strategievorhaben. Wir nennen dieses System "Rite Sourcing".
Unger: Einmal kam eine Frau auf mich zu und sagte: "Sie haben mein Leben total verändert. Mein alter Job, in dem ich zehn Jahre die Expertin war, hat mich gelangweilt. Jetzt nach dem Training fühle ich mich wie neugeboren." Und ich dachte: "Toll, wären doch nur alle Mitarbeiter so motiviert." Hinterher sagte mir der Vorgesetzte, die Frau sei eine seiner größten Problemfälle gewesen.
mm.de: Ihre Mitarbeiter schätzen Sie, Ihre Vorgesetzten halten auch bei Problemen zu Ihnen. Glauben Sie, dass Sie als Frau im Umgang mit Menschen erfolgreicher sind als Ihre männlichen Kollegen?
Unger: Nun ja, wir Frauen tun uns beim Vermitteln und Moderieren schon leichter. Und wir haben ein gutes Gefühl für Körpersprache. Solche Fähigkeiten sind in einem Job wie dem meinen schon hilfreich.