Werbeblocker Noch kann die Fee nicht zaubern
Hamburg - Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Weisheiten, die Vorstand und Anleger der TC Unterhaltungselektronik AG (TCU) derzeit offenbar eher in den Hintergrund gestellt haben. Stattdessen zieht man es vor, den Erfolg gegen RTL vor dem BGH in Sachen Fernsehfee als "den großen Durchbruch" für die TCU zu verstehen.
Das höchste deutsche Zivilgericht hatte Ende Juni nach langjährigem Rechtsstreit verkündet, dass der Vertrieb der Fernsehfee entgegen der Auffassung von RTL nicht rechtswidrig gewesen ist. Bei der Fernsehfee handelte es sich um eine Set-Top-Box, die in der Lage war, sobald in einem Fernsehprogramm die Werbung begann, automatisch auf einen werbefreien Sender zu wechseln, oder die Videoaufzeichnung des gewählten Fernsehprogramms für die Dauer der Werbung zu unterbrechen.
In den Ad-Hoc-Meldungen, die auf das BGH-Urteil folgten, verkündete die TCU, dass nun eine Einführung der ebenfalls von der Koblenzer Firma produzierten Tivion-Lösung, die mittlerweile in TVOON umbenannt wurde, in den deutschen Markt konsequent ab Oktober 2004 erfolgen könne und diese auch bereits durch langfristige Produktionsabkommen abgesichert sei.
Zweifel sind angebracht
Slowenische Arbeiter schrauben nach Angaben der TCU derzeit bereits an den ersten 3000 Exemplaren der TVOON-Lösung. Später wolle man monatlich 30.000 Stück absetzen. Die Anleger haben sich von der BGH-Entscheidung regelrecht euphorisieren lassen: Die Kurse des Koblenzer Unternehmens, die wenige Wochen vor dem Urteil noch bei 60 Cent notierten, schossen kurz nach der Urteilsverkündung auf über sieben Euro.
Die Hochstimmung sollte allerdings die Anleger nicht dazu verführen, vier wichtige Details in den Hintergrund zu stellen:
Erstens hat RTL bereits angekündigt, die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen das Fernsehfee-Urteil des BGH zu prüfen. Wenn man bedenkt, dass unter Rundfunkrechtlern auch die Finanzierungsgrundlagen der Privatsender vom Schutz der in der Verfassung verankerten Rundfunkfreiheit umfasst angesehen werden, erscheint ein entsprechendes Vorgehen des Kölner Senders keinesfalls aussichtslos.
Ohne Internet geht nichts
Ohne Internet geht nichts
Zweitens sind durchaus Zweifel am Markterfolg des technischen Konzepts der TVOON-Lösung angebracht: Um die Werbeblockerfunktionalität zur Entfaltung zu bringen, ist TVOON auf eine permanente Verbindung zum Internet angewiesen. Soweit kein Computer mit integrierter TV-Karte vorhanden ist, müssen Computer und Fernseher vom Kunden dauerhaft vernetzt werden, um in den Genuss der Werbefreiheit zu kommen.
Bislang ist die TVOON-Software zudem nur für Windows XP verfügbar. In Koblenz sieht man diese technischen Schwächen der Lösung und das daraus resultierende eingeschränkte Verbreitungspotential allerdings gelassen: Schon 200.000 permanente Nutzer sollen nach Angaben der TCU ausreichen, um das Unternehmen dauerhaft über Wasser zu halten.
Drittens wurden die wirtschaftlichen Möglichkeiten der TCU und die Qualitäten des Managements immer wieder in Frage gestellt. "Focus" berichtete zum Beispiel, dass die Firma seit dem Börsengang am 16.11.2000 nur etwa 45.000 Euro Umsatz erzielt habe und notgedrungen vom Erlös der Emission zehre. Dieses wird von der TCU-Geschäftsführung nicht bestritten, allerdings damit erklärt, dass man aufgrund des Rechtsstreits mit RTL nur sehr eingeschränkt umsatzrelevante Aktivitäten habe entfalten können.
Fernsehfee ist nicht gleich TVOON
Darüber hinaus sind die Wirtschaftsprüfer der TCU bei der Prüfung des Jahresabschlusses 2003 zu der Ansicht gekommen sein, dass nur noch frisches Geld vom Kapitalmarkt Rettung bringen könne, wenn TVOON in diesem Jahr weniger als 50.000 Nutzer finden würde. Schließlich liest sich der Bericht eines Aktionärs von der Hauptversammlung 2002 - dessen Wahrheitsgehalt von Seiten der TCU allerdings bestritten wird - wie ein Stück aus dem Tollhaus.
Während in 2003 gleich gar keine Hauptversammlung stattfand, wurden im Rahmen der Hauptversammlung am 19.07.2004 die Jahresabschlüsse für 2001, 2002 und 2003 Gegenstand der Tagesordnung. Die Hauptversammlung 2004 war - soweit man dem Bericht glauben kann - auch kein Prunkstück der Aktienkultur.
Fernsehfee ist technisch veraltet
Viertens ist die TCU auch auf juristischer Ebene noch nicht alle Sorgen los, denn Fernsehfee ist nicht gleich TVOON: Die Fernsehfee, um deren Rechtmäßigkeit es in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ging, ist - wenn nach Angaben der TCU derzeit auch an einer aktualisierten Fernsehfee II gearbeitet wird - während des langen Verfahrens technisch veraltet.
Die TVOON-Lösung, mit der die TCU zukünftig ihre Brötchen verdienen will, mag zwar technisch aktueller sein, aber ihr Vertrieb wird derzeit noch durch eine einstweilige Verfügung behindert, die RTL Anfang 2004 vor dem Landgericht Köln erreicht hat. Hiernach ist es der TCU untersagt, "im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Dritten die Einblendung von Werbung im RTL-Programm anzubieten, wobei die Werbeeinblendung dadurch gekennzeichnet ist, dass das RTL-Fernsehbild durch die Werbeeinblendung ganz oder teilweise verdeckt wird und/oder der RTL-Ton ganz oder teilweise ausgeschaltet wird."
Der Unterschied liegt im Detail
Der technische und auch juristische Unterschied zwischen der Fernsehfee und TVOON liegt vor allem darin, dass TVOON - neben zahlreichen weiteren Funktionen - die Werbung der Sender nicht nur ausblenden, sondern durch eigene, von der TCU selbst akquirierte und zielgruppenorientierte Werbung substituieren kann. Im Internet warb die TCU bereits damit: "Tivion wird eigene Werbeformen anbieten - Target-Permission-Marketing statt Pampers-Werbung an kinderlose Haushalte", hieß es auf den Internetseiten aus Koblenz.
Der Unterschied zwischen Fernsehfee und TVOON lässt sich an einem einfachen Beispiel illustrieren: Der Service der Fernsehfee war vergleichbar mit dem (hypothetischen) Angebot eines Zeitungsjungen an Abonnenten, morgens unter Zuhilfenahme von Schere und Schablone sehr exakt die Anzeigen aus der gelieferten Zeitung herauszuschneiden, damit diese den Lesegenuss nicht stören.
Das Angebot von TVOON ist hingegen so, als würde der Zeitungsjunge die vorhandene Werbung nicht nur ausschneiden, sondern zugleich an die so entstandenen freien Stellen vom ihm akquirierte Werbung kleben, die seiner Ansicht nach den jeweiligen Abonnenten interessieren könnte - natürlich ohne Einverständnis des Verlages.
Sollte es RTL auch in dem derzeit betriebenen Hauptsacheverfahren gelingen, dem LG Köln den gravierenden Unterschied zwischen reiner Werbeausblendung à la Fernsehfee und Werbeersatz à la TVOON zu verdeutlichen, so ist es wahrscheinlich, dass das Gericht weiterhin für ein Verbot der Werbeersatz-Funktion plädiert.
Dann allerdings müsste sich die TCU - nicht nur im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft 2004 - wohl einige Sorgen um die Finanzierbarkeit ihres Angebots machen. Um so erstaunlicher ist es, dass die TCU bis dato keinen Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt hat und RTL bislang auch noch keine Klagerwiderung im Hauptsacheverfahren seitens TCU vorliegt.
Bannerwerbung in den Werbepausen
Bannerwerbung in den Werbepausen
Bei der TCU findet man allerdings die weitgehende Untätigkeit in Sachen TVOON-Verfahrens überhaupt nicht erstaunlich, sieht man doch die Reichweite der einstweiligen Verfügung als nur sehr eingeschränkt, nämlich auf einen Ersatz der Unterbrecherwerbung von RTL durch Unterbrecherwerbung von TCU beschränkt an.
Man habe jedoch niemals vorgehabt, die Unterbrecherwerbung irgendeines Fernsehsenders durch eigene Unterbrecherwerbung zu substituieren. Eigene Unterbrecherwerbung würde nur die Nutzer vergraulen, die der Unterbrecherwerbung der Fernsehsender gerade durch den Einsatz von TVOON entkommen wollten.
Eine von der TCU kontrollierte Werbung werde es daher bei TVOON nur in Form von Bannerwerbung geben, mit der der Nutzer zum Beispiel dann in Berührung käme, wenn er die Werbepause eines Senders nutze, um via TVOON im Internet zu surfen oder seine E-Mails zu lesen. Derartige Bannerwerbung sieht man bei der TCU als nicht von der einstweiligen Verfügung erfasst an. Das gerichtliche Vorgehen von RTL gegen TVOON könne daher - so vermutet man in Koblenz - allein der Verwirrung des Marktes dienen, der glauben solle, TVOON oder jedenfalls jede Form der Werbung im Rahmen dieses Angebotes wäre komplett verboten.
Sollte das derzeitige Verbot tatsächlich so zu verstehen sein, dass es RTL nur vor einem Austausch der Unterbrecherwerbung schützt, so sollte allerdings unbedingt damit gerechnet werden, dass RTL durch weitere gerichtliche Handlungen auch ein Verbot anderer Werbeformen erwirkt. Ob nun TVOON eigene Unterbrecherwerbung oder "nur" eigene Bannerwerbung enthält, ein eklatanter Unterschied zur Fernsehfee ist jedenfalls zu konstatieren.
Fakt ist, dass die TCU mit TVOON die Aufmerksamkeit, die zum Beispiel das RTL-Programm beim Zuschauer erzeugt, für eigene Werbezwecke nutzen möchte, während es mit der Fernsehfee den Nutzer nur vor der sendereigenen Werbung schützen wollte. Dieser gewichtige Unterschied könnte daher auch auf juristischer Ebene eine gänzlich andere Bewertung, nämlich ein Verbot, rechtfertigen.
In der mündlichen Verhandlung am 12.10.2004 vor dem Landgericht in Köln geht es für TCU und die Anleger deshalb auch weiterhin um die Zukunft und die Frage "Sekt oder Selters", "Barfuss oder Lackschuh".