Die Universitäten zu "forschungsverliebt", der Arbeitsmarkt zu starr. Für IBM-Manager Walter Raizner ist ein Großteil unserer Probleme hausgemacht. Dennoch besitzt der Forschungsstandort Deutschland für ihn enormes Potenzial, das nicht zuletzt mit Hilfe der Cebit geweckt werden könnte.
Hamburg - Seine Sympathiepunkte verteilt Walter Raizner immer schön gleichmäßig. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder angestoßene Innovationsoffensive sei kein Ablenkungsmanöver, so der IBM-Deutschlandchef am Mittwochabend bei einem Vortrag vor dem Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten.
Aber auch das jüngste Konzept von CDU/CSU bekam viel Lob. Der Kündigungsschutz muss laut Raizner gelockert werden. Als Beispiel nannte er Deutschlands nördlichen Nachbarn Dänemark, wo es eine Kündigungsfrist von lediglich 14 Tagen gebe. Den Einwand, dass durch die ständige Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes doch nicht unbedingt die Kreativität gefördert werde, konnte er allerdings nicht stichhaltig entkräften.
Neben der Verbesserung der Rahmenbedingungen sieht Raizner auch Wirtschaft und Wissenschaft in der Pflicht. Es werde immer noch zuviel Grundlagenforschung und zu wenig Produktentwicklung betrieben. Doch nur mit neuen Produkten könne mehr Wachstum erzeugt werden. In den USA machten Neuentwicklungen bereits 40 Prozent der Umsätze aus, in Deutschland liege dieser Wert bei 22 Prozent.
Die schnellsten Chips der Welt
Als Beispiel für marktnahe Entwicklung in Deutschland nannte Raizner das IBM-Labor in Böblingen, der größte Entwicklungsstandort von "Big Blue" außerhalb der USA. "Zusammen mit der Uni Bonn entwickeln wir dort die schnellsten Chips der Welt", so Raizner stolz. Man könne auch bei höheren Gehaltsstrukturen wettbewerbsfähige Ergebnisse liefern.
Da bei den Unternehmen der Strategiewechsel weg von der Kostenreduzierung hin zur Prozessverbesserung erkennbar sei, lege sein Unternehmen auf der Cebit 2004 den Schwerpunkt auf die Verknüpfung von Hard- und Software mit Beratung sowie Betreiber- und Finanzierungsmodellen. Als Beispiel für veränderte Prozessstrukturen nannte Raizner die Automobilindustrie, von der immer mehr Wertschöpfung auf die Zulieferer verlagert werde.
Simulationen statt Tests an Menschen
Als große Wachstumsfelder machte er sowohl den öffentlichen Sektor als auch den Gesundheitsbereich aus. So werde IBM auf der Cebit einen Prototyp der so genannten Gesundheitskarte präsentieren. Auch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms biete ganz neue Möglichkeiten der Medikation. Wenn Deutschland auch Computersimulationen anstelle von Tests an Patienten zulassen würde, könnte man "auf den nächsten Zug" aufspringen, nachdem man in der aktuellen Pharma-Forschung leider den Anschluss verloren habe.
Deutschlands Universitäten warf Raizner vor, zum Teil zu "forschungsverliebt" zu sein. So sei man in der Nanotechnologie zwar weltweit führend, müsse aber darauf achten, auch marktfähige Produkte zu entwickeln. Er wolle aber keine Schwarzmalerei betreiben. "in Deutschland wurde die Negativstimmung kultiviert", so der Vorwurf Raizners, der einige Jahre in den USA gearbeitet hat. Zwar sei auch in den USA nicht alles Gold, was glänze, die Deutschen könnten aber vor allem von den Freunden in Übersee lernen, wie man sein Wissen präsentiert und vermarktet.
Ein Ort für dieses Wissensmarketing ist für Raizner auch in diesem Jahr die Cebit in Hannover: "Die Cebit ist auch 2004 ein Höhepunkt, von dem wichtige Impulse ausgehen werden."