Eichborn Verlag Flügellahmes Unternehmen
Frankfurt/Main - Spätestens seit dem "Kleinen Arschloch" gilt der Frankfurter Eichborn Verlag mit seinen frechen, schrägen Büchern als Top-Adresse in Sachen Humor.
Doch den Eichborn-Machern und ihren Aktionären bleibt derzeit jedes Lachen im Halse stecken: Angesichts massiv sinkender Umsätze und drohender Bilanzverluste herrscht Krisenstimmung.
Eine Hiobsbotschaft folgt der nächsten: Nach den schlechten Quartalszahlen kam die Kündigung von Programmchef Wolfgang Ferchl. Dann wurde bekannt, dass auch noch "Arschloch"-Erfinder Walter Moers dem Verlag den Rücken kehrt.
Obendrein steht Eichborn vor einer radikalen Kehrtwende: Alle Beteiligungen an Tochterfirmen jenseits des ursprünglichen Verlagsgeschäfts sollen abgestoßen werden. "Die bisherige Strategie ist gescheitert", gibt Eichborn-Vorstand Matthias Kierzek unumwunden zu. Die berühmte Fliege, Markenzeichen des rührigen kleinen Verlags, ist flügellahm.
Strategieänderung
Die Eichborn war unter großer Aufmerksamkeit der gesamten Buchbranche vor zweieinhalb Jahren als erster unabhängiger deutscher Verlag an die Börse gegangen. Seitdem hatte sie kräftig angebaut. Um die gesamte Verwertungskette der Inhalte in eigener Hand zu behalten - Film- und TV-Rechte, Filmmusik, Video, Geschenkartikel, Hörbuch - beteiligte sich die AG an der Rechteverwertungsagentur ATL Books, an der Musikmarketing-Firma Double Fun und der Filmproduktion Classic Film.
Hinzu kamen Karriere-Beratung in mehreren "Büros für Berufsstrategie", eine Mehrheitsbeteiligung am Zürcher Pendo Verlag und das neu gegründete Lido Hörbuch-Label. Aus dem kleinen Verlagshaus im Frankfurter Rotlichtviertel wurde ein Konzern.
Doch die Tochterfirmen fuhren nicht zuletzt wegen der schlechten Lage im Filmgeschäft Verluste ein. Vor allem das misslungene Merchandisinggeschäft mit "Harry Potter" riss ein Loch in die Planung. Der Konzern machte 2002 bis Ende September einen Umsatz von 15,5 Millionen Euro (minus 20 Prozent) und einen Verlust von rund 2,5 Millionen Euro. Der Aktienkurs stürzt schon seit dem Börsengang unaufhaltsam in den Keller. Deshalb lautet nun auch bei Eichborn die Devise "Konzentration aufs Kerngeschäft".
Kein Rückzug aus der Rechteverwertung
"Natürlich ist man nicht übermäßig glücklich, wenn man Kinder in die Welt setzt, die dann nicht gedeihen", sagt Kierzek. "Aber es war den Versuch wert. Und wir ziehen uns nicht aus der Rechteverwertung zurück, sondern werden es nur nicht mehr selbst machen." So werde ATL Books weiter im Eichborn-Auftrag Verwertungsrechte verkaufen. Für das "Büro für Berufsstrategie" suche man einen externen Käufer.
Programmchef und Prokurist Ferchl hatte wegen Differenzen mit der Geschäftsleitung überraschend vor wenigen Tagen fristlos gekündigt. Er heuerte zum April in München bei Piper, Malik, Kabel an. Auch Pressechefin Susanne Klein verlässt Eichborn zum März. Sie geht ebenfalls nach München, allerdings zu Droemer Knaur.
Persönliche Differenzen
"Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Organen der Aktiengesellschaft war nicht mehr gewährleistet", nennt Ferchl als Grund für seine Kündigung. Außerdem sei das Piper-Angebot "so wunderbar, dass ich nicht ablehnen konnte". Verlagskennern zufolge gab es schon seit geraumer Zeit Dispute zwischen Ferchl und der übrigen Verlagsspitze über die richtige Strategie. Knackpunkt war demzufolge vor allem die damalige Beteiligung an den Tochterfirmen. Es habe aber auch persönliche Differenzen zwischen Ferchl und Kierzek gegeben.
Ferchl - Motor und Seele des Verlags - hängt seit Tagen pausenlos am heimischen Telefon, um verunsicherte Eichborn-Autoren zu beruhigen. Als erster sagte sich Eichborn-Zugpferd und Aktieninhaber Walter Moers (10 Prozent-Beteiligung) vom Verlag los: Sein neues Buch soll im Frühjahr nicht wie geplant bei Eichborn erscheinen, sondern - welch Zufall - bei Ferchls neuem Verlag Piper. Für Eichborn ein herber Schlag. "Ein schmerzlicher Verlust", räumt Kierzek ein.
Doch nach Abwicklung der Beteiligungen soll der Verlag wieder in die Gewinnzone kommen, hofft Kierzek. Die Chancen stehen nicht schlecht: Das Verlagsgeschäft sorgte zuletzt für 90 Prozent des Konzernumsatzes und war durchaus erfolgreich. Außer mit der Humorsparte und diversen Lexika im Stile des "Lexikon der Populären Irrtümer" katapultierte sich Eichborn auch mit Autoren wie Karen Duve ("Dies ist kein Liebeslied"), Katja Kullmann ("Generation Ally"), Akif Pirincci ("Felidae") und Dietrich Schwanitz ("Bildung") auf die Bestsellerlisten. Ein literarisches Aushängeschild ist zudem die von Hans Magnus Enzensberg herausgegebene Reihe "Die Andere Bibliothek".
Nicola Prietze, dpa