Das geistliche Oberhaupt des tibetischen Volkes, der Dalai Lama, fordert neue Werte für die Ökonomie. Der Friedensnobelpreisträger hofft, dass sich die Marktwirtschaft fundamental ändert und die Akteure mehr globale Verantwortung übernehmen. Vor allem Manager müssten sich wieder auf moralische und ethische Prinzipien besinnen.
Paris - Entspannt und lächelnd sitzt der Dalai Lama im Schneidersitz auf dem Sofa der Suite eines edlen Pariser Hotels - die Gummipantoffeln vor sich auf dem Boden. Soeben wurde ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Paris verliehen, nun nimmt sich das geistige Oberhaupt der Tibeter eine Stunde Zeit, um mit manager magazin über Themen zu sprechen, die die Menschen weltweit bewegen: die globale Wirtschaftskrise, die Angst vor dem Existenzverlust und darüber, wie sein Glaube, der Buddhismus, in dieser Not zu helfen vermag. Der Dalai Lama hat eine beeindruckende Ausstrahlung, er versprüht förmlich positive Energie. Und er bemerkt sofort, dass der Journalist, der ihn interviewen möchte, etwas nervös ist. Freundlich fasst er diesen an die Schulter, murmelt ein paar Worte, und der Bann ist gebrochen.
mm: Eure Heiligkeit, die Weltwirtschaftskrise belastet viele Menschen persönlich. Angst und Pessimismus grassieren. Sogar Manager erleben das Gefühl der Ohnmacht angesichts des Zusammenbruchs. Uns interessiert Ihre Sicht auf die aktuellen Entwicklungen. Wie sehen Sie den Absturz der Weltwirtschaft?
Dalai Lama: Ich bin kein Experte für Wirtschaftsfragen. Ich habe aber neu-gierig mit Fachleuten diskutiert und das Phänomen durchdacht. Die elementaren Ursachen der globalen Probleme liegen in einer übertriebenen Gier, in der Spekulation und der mangelnden Transparenz des Systems. Das sind einige der Gründe. Wir müssen uns wieder auf moralische und ethische Prinzipien besinnen. Wenn wir offen, ehrlich und transparent mit der misslichen ökonomischen Lage umgehen, wird es den Menschen helfen. Es wird sie weniger erschrecken. Die Krise zeigt uns, dass die Fixierung auf materielle Werte unseren Geist und unser Denken einengt.
mm: Wir vermuten, dass Sie selbst kein Geld an den Märkten verloren haben.
Dalai Lama: Nein, ich halte mich fern von den Finanzmärkten. Diejenigen aber, die sich nur für Geld interessieren und sogar nachts davon träumen, haben nun ein Problem. Ich bin sicher, dass die Krise ziemliche Turbulenzen in ihren Köpfen verursacht.
mm: Sie meinen, Geld werde überbewertet?
Dalai Lama: Man braucht Geld, um zu leben, auch ich benötige es. Jeder liebt Geld. Aber neben dem Geld gibt es andere Werte wie den Zusammenhalt der Familie, die innere Zufriedenheit, die Meditation und die Erkenntnis, dass materielle Dinge uns einschränken. Wer diese Werte in seinem Leben als ele-mentar erachtet, fühlt sich von der Krise weniger betroffen. Und selbst wenn jemand seinen Arbeitsplatz verloren hat, findet er bei seiner Familie und bei Freunden Halt. Zudem bleibt ihm die Meditation.
mm: Was sagen Ihnen Unternehmer zu dieser Sicht?
Dalai Lama: Vor vielen Jahren war ich einmal in Japan. Die japanische Wirtschaft war zu dieser Zeit sehr erfolgreich, sie wuchs Jahr um Jahr. Ich habe damals gegenüber den Japanern meine Bedenken geäußert, dass materielle Werte und der Zwang zum Wachstum sie einschränkten; sie könnten nicht erwarten, dass es immer so weitergehe. Später, als ich wieder einmal Japan besuchte und die Wirtschaft dort bereits stagnierte, kam ein japanischer Manager zu mir und meinte, er sei traurig, dass er seine Karriere und sein Leben bisher nur dem Geld gewidmet habe und nun nachvollziehe, was ich lehrte. Wir müssen uns bewusst machen, dass materielles Wachstum endlich ist, dass es früher oder später an Grenzen stößt. Wenn wir das verinnerlichen, wird uns auch eine Krise weniger erschrecken.
"Natürlich kann ein Manager Buddhist sein"
mm: Kann denn eine Marktwirtschaft ohne Geld, Gier und Wachstum funktionieren?
mm: Kann denn ein Topmanager Ihren Leitlinien folgen? Wird er dann nicht zwangsläufig von gierigeren Wettbewerbern überholt?
Dalai Lama: Selbstverständlich können Individuen wie Manager, Politiker oder Wissenschaftler spirituellen Linien folgen - seien es christliche, islamische, hinduistische oder buddhistische - und dabei professionell arbeiten. Entscheidend ist, dass man Verantwortung und Mitgefühl für die Gesellschaft empfindet. Die buddhistische Lehre ist sehr holistisch - alles hängt von allem ab. Ansonsten sind sich die Religionen sehr ähnlich. Also: Natürlich kann ein Manager Buddhist sein.
mm: Gibt es ein spezifisch buddhistisches Wirtschaften, etwa "buddhist banking"?
Dalai Lama: Ich habe davon gehört, dass jemand tatsächlich ein Buch darüber geschrieben hat. In jedem Fall ist das Wirtschaften ein wichtiger Aspekt der menschlichen Tätigkeit und hat viel mit dem Thema Motivation zu tun. Mitgefühl sollte für Manager dabei eine wichtige Größe sein, denn sie führt zu einer Verantwortung für das große Ganze und Ehrlichkeit gegenüber den Menschen. Leider aber sehen wir immer wieder Fälle von Korruption, nicht nur bei Managern, sondern auch bei religiösen Menschen. Da werden dann die eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt, die Religion wird beschmutzt.
mm: Wie wird sich die westliche Marktwirtschaft durch die Krise ändern?
Dalai Lama: Das weiß ich nicht (lacht). Die Realität wird eine neue Realität schaffen. Das passiert eben auch in der Wirtschaft. Wie diese Realität genau aussieht, vermag ich nicht zu sagen. Wir brauchen neue, effiziente Strukturen, wir müssen die Prozesse anders organisieren. Das bisherige Denken in der Ökonomie, aber auch in den zwischenstaatlichen Beziehungen, unterscheidet noch immer in "wir" und "sie". Das ist nun durch die Realität überholt. In der Wirtschaftskrise versagt diese Sicht, wir sind alle betroffen, die ganze Welt.
"Mitgefühl und Vergebung sind enorm wichtig"
mm: Ende Juli besuchen Sie die deutsche Finanzmetropole Frankfurt. Was werden Sie etwa den Bankern dort raten?
Dalai Lama: Ich bleibe vier Tage und werde buddhistische Lesungen abhalten, die sich auch an Manager wenden. Die zentrale Frage wird sein, wie Menschen ein erfülltes Leben führen und Mitgefühl entwickeln können. Innere Stärke und Mitgefühl führen zu mehr Bewusstsein. Ich habe einen guten Freund, der 18 Jahre in einem chinesischen Straflager inhaftiert war. Nach seiner Entlassung besuchte er mich in Indien. Er erzählte mir, dass er während seiner Gefangenschaft einige Momente der Gefahr verspürte. Ich fragte: Welcher Gefahr? Er antwortete mir lächelnd: der Gefahr, dass ich das Mitgefühl gegenüber den Chinesen verliere. Diese Mentalität ist sehr wichtig, wenn Menschen mit Schmerzen und schwierigen Situationen wie etwa der Wirtschaftskrise umgehen müssen.
mm: Mitgefühl als Weg aus der Krise?
Dalai Lama: Mitgefühl gegenüber anderen Menschen führt zu einer inneren Stärke. Das versuche ich den Menschen klarzumachen: Mitgefühl und Vergebung sind für das Funktionieren einer Gesellschaft enorm wichtig. Ich nenne das säkulare Ethik, Respekt gegenüber anderen Religionen.
mm: Haben wir Deutsche, die wir uns gern als "Exportweltmeister" sehen, eine besondere Verantwortung bei der Bewältigung der Krise?
Dalai Lama: Als ich zehn Jahre alt war, lernte ich Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter kennen. Ich nannte sie "Die zwei Deutschen". Harrer wurde ein enger Freund von mir. Während meines ersten Besuchs in Europa im Jahr 1973 bemerkte ich, dass die deutschen und österreichischen Menschen sehr offen sind. Deutschland baute aus der Asche eine neue Nation mit einer sehr starken Wirtschaft und einer gut funktionierenden Demokratie. Das bewundere ich.
mm: Erleben Sie denn bei uns das von Ihnen gewünschte Mitgefühl?
Dalai Lama: Sowohl Deutsche als auch Japaner habe ich gefragt, ob sie schlechte Gefühle gegenüber dem einstigen Kriegsgegner Amerika hätten, weil zwei Atombomben über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden sind. Die Menschen, die ich fragte, verneinten dies. Sie haben vergeben. Als Barack Obama im vergangenen Jahr Berlin besuchte, jubelten ihm 200.000 Menschen zu. Das empfinde ich als sehr gut. Die Menschen schauen einer neuen Realität entgegen. Wir müssen das alte Denken zwischen "wir" und "sie" überwinden, künstliche Grenzen einreißen. Wir müssen den Rest der Welt als Teil von uns verstehen. Dann werden Kriege verhindert. Aus ihren eigenen Erfahrungen können die Deutschen einen wertvollen Beitrag dazu leisten.
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